Das neue Haus der Kulturen der Welt (hkw) hat seine Arbeit aufgenommen

„Wir kommen in Frieden“. Mit dem ersten Satz seiner Auftakt-Rede im Haus der Kulturen der Welt schien Bonaventure Soh Bejeng Ndikung seine (nicht wenigen) Gegner beschwichtigen zu wollen. Doch der Abend wurde ein Triumph kuratorischen Selbstbewusstseins ohne jede Selbstüberhebung: politisch, ästhetisch, moodmäßig. Obendrein alles noch quite fashionable.

Der Kontrast zu der bisweilen etwas streng-steifen Oberstudienratsästhetik und dem akademischen Habitus, mit dem Ndikungs Vorgänger Bernd Scherer und Anselm Franke auftraten, konnte nach dem knallbunten und musikalisch grundierten Auftaktwochenende Anfang Juni kaum größer sein.

Sas muss kein inhaltlicher Rückschritt sein. Ndikungs viel zitiertes Stichwort von der „Konvivalität“ klingt ein ein wenig nach Klassenkompromiss in den Fragen, bei denen sich Scherer und Franke einem schärferem Agonismus verpflichtet fühlten.

Doch die dahinter stehende Suche nach einer neuen Kunst miteinander zu leben (con-vivere) entstammt den diversen Schulen, die nach Alternativen zum Neoliberalismus und veränderten Formen des Zusammenlebens jenseits der Wachstumsgesellschaft suchen.

Vielmehr geht es darum, so steht es in dem Manifest, das Frank Adloff und Claus Leggewie in ihrem entsprechenden Manifest 2014 veröffentlichten, „den Primat des Ökonomischen“ zu brechen.

Auch der „Quilombismo“, der der ersten Kunstausstellung den Titel gab, war kein Versuch des Kotaus vor der stereotypen Afrika-Vorstellung des westlichen Massenpublikums und seiner kommerziell ausgebeuteten Ästhetik in Foodcourts und Jahrmärkten – nur weil die darin präsentierte Kunst so bunt und anschaulich war und nicht in Form des „paperworks“ daherkam, für das das hkw bislang stand.

„Die „Afro-Brazulian Political Alternative“, die der brasilianische Künstler, Aktivist und Hochschullehrer Abdias Nascimento schon 1980 mit dem Terminus bezeichnete, bezieht sich auf die von Sklaven entwickelten Ansätze eines ökonomischen Kommunitarismus. Es ist das Verdienst des neuen hkw diesen Ansatz ins Bewußtsein zu heben.

Das neue hkw muss natürlich erst einmal nachmachen, was dem „alten“ gelang: Mit dem Stichwort „Anthropozän“ hat es einen nicht zu unterschätzenden Paradigmenwechsel zwar nicht erfunden, aber doch durchsetzen helfen.

Doch das, was bislang zu sehen und zu hören war, spricht dafür, dass dem neuen hkw gelingen könnte, was dem Humboldtforum nie gelingen wird: Den Grundstein für eine glaubwürdige Plattform einer transkulturellen Zukunft zu legen, die gemeinsam zu erarbeiten ist.

Der Auftakt war jedenfalls ein schlagender Beweis, dass Gesellschaftsanalyse und Sinnlichkeit, Kritik und gute Laune, Rationalität und Emotionalität, Distanz und Nähe kein Gegensatz sein müssen, sondern zwei Teile derselben dialektischen Medaille. Die neue Energie, das Gefühl von Gastfreundschaft und Inspiration waren gleichsam körperlich zu spüren.

Ein transformiertes Haus macht natürlich noch keinen postkolonialen Sommer. Und fragwürdige Versuche musealer Selbstmaskierung und Diversitätsfolklore gab es schon einige. Doch dies war zweifellos ein historischer Moment für die deutsche Kulturgeschichte.

Präsident Erdoğan eröffnet das Istanbul Modern Kunstmuseum

Bleibt Türkiye, so heißt die Türkei seit neuem auf Geheiß ihres Dauerpotentaten, doch modern? Schwer zu sagen, ob Recep Tayyip Erdoğan diese Message senden wollte, als er 19. Mai im Kunstmuseum Istanbul Modern aus den Händen von Oya Eczacıbaşı ein großes Bild des Hauses entgegennahm.

Seit Monaten hatte die türkische Kunstszene gerätselt, wann der Neubau des 2004 in einer Lagerhalle an der Uferpromenade des Stadtteils Karaköy am alten Hafen von Istanbul eröffneten Kunstmuseums endlich öffnen würde. Der langgestreckte Bau, den der Industriellenclan Eczacıbaşı bei dem Architekten Renzo Piano in Auftrag gegeben hatte und an ein Schiff erinnert, war seit Monaten fertig, Nachfragen, wann es denn nun endlich losgeht, wurden aber ausweichend beantwortet.

Offenbar scheute die Unternehmerfamilie, die auch die Istanbul Kültür Sanat Vakfi (IKSV-Stiftung) betreibt, die die 1987 gegründete Istanbul Biennale ausrichtet, die Zeit vor den Wahlen. Schließlich öffnete das Haus am 4. Mai still und leise seine Pforten für das normale Publikum.

Doch so wie schon der Architekt Erol Tabanca sein privates Kunstmuseum Odunpazarı in Eskişehir 2019 nur in Erdoğans Anwesenheit eröffnen durfte, kamen auch die Eczacıbaşıs in Istanbul nicht um den allgegenwärtigen Staatschef herum.

Offizieller Anlass für den Auftritt auf dem Terrain der säkularen Kultur, die Erdoğan sonst gern mit Hassreden überzieht, war der „Tag der Jugend und des Sports“. Dafür hätte es auch das nahe Sportstadion getan. Doch Taktiker Erdoğan wollte die Kulisse des kulturellen Leuchtturms für die zweite Wahlrunde am 24. Mai instrumentalisieren.

Eine Kampfansage an die Moderne wurde die Präsidentenrede zwar nicht. Vor der Wahl wollte er offenbar keine schlafenden Hunde wecken. Ein etwas müde wirkender Erdoğan lobte seine Erfolge bei der Rettung der osmanischen Kulturgüter und wünschte dem Museum viel Glück.

Doch die gequälten Gesichter von Bülent Eczacıbaşı und seiner Frau Oya, der Direktorin des Museums, bei Erdoğans 20minütiger Ansprache wirkten wie ein Sinnbild für die Lage der Kunst in der Türkei am Vorabend seines mutmaßlichen Siegs: Gute Miene zum autoritären Spiel machen.