Kunst als Feigenblatt: Anmerkungen zur Diriyah-Biennale in Saudi-Arabien

Lassen sich mit Biennalen Gerechtigkeit und Demokratie befördern? Sieht man einmal von dem Kunstmessen-Abkömmling Venedig ab, befeuert diese geheime Hoffnung die rapide Biennalisierung der zeitgenössischen Kunstwelt in den letzten zwanzig Jahren von Gwangju bis Istanbul. Dürfen wir uns also auch Hoffnungen für das konservative Saudi-Arabien machen? Dort startete am Wochenende die erste Ausgabe dieses Erfolgsformats in der Hauptstadt Riad.

Diriyah-Biennale nennt sich diese Premiere nach einem, für seine traditionellen Lehmbauten bekannten Vorort Riads. Das klingt kulturbewusst, ist aber politische Strategie. Promotet wird die Biennale nämlich als „Eckstein“ der „Vision 2030“, die Kronprinz Mohammed bin Salman, der wahre Machthaber in dem religiösen Wüstenstaat, 2016 ausrief.

Die Idee dahinter: Kunst und Kultur sollen das Land unabhängig vom Erdöl machen. Eine neue „Unterhaltungs“-Behörde wurde mit einem Etat von 2 Milliarden Dollar ausgestattet. Der vierzig Jahre alte Kino-Bann wurde aufgehoben, Frauen durften erstmals Sport-Veranstaltungen besuchen, Pop-Konzerte mit Mariah Carey, David Guetta und Enrique Iglesias folgten.

Formal firmiert die Ad-Diriyah Stiftung, die die Biennale ausrichtet, als „Non-Profit-Organisation“. Ihr Etat kommt jedoch vom Kulturministerium, ihr präsidiert mit Prinz Badr bin Farhan al Saud der Kulturminister des Landes. Als CEO der Biennale fungiert Aya Al-Bakree, eine junge Kommunikationsexpertin, deren Familie Beobachter zu der loyalen Business-Elite Saudi-Arabiens zählen.

2022 soll eine Biennale für die Islamischen Künste folgen. Als Kurator für die Biennale konnten die Saudis einen diktaturgeprüften Kurator gewinnen: Den amerikanischen Kunsthistoriker Philip Tinari, seit 2011 Chef des Zentrums für Zeitgenössische Kunst in Peking (UCCA).

„Crossing the water and feeling the stones“ – Tinaris Slogan, der im China der 1980er Jahre den Geist der Transformation des Landes beschrieb, passt denn auch haarscharf zur Lage auf der Arabischen Halbinsel.

Ob sie es wollen, wissen oder nicht. Mit ihrer Teilnahme helfen die 64 eingeladenen Künstler:innen, ein Land reinzuwaschen, dessen politische und soziale Realität mit den hehren Zielen der Vision 2030 und dem Ziel der Biennale, den „kreativen Ausdruck“ zu fördern, nicht viel zu tun hat.

In Saudi-Arabien gelten Menschenrechte nur solange sie der Scharia nicht widersprechen. Eine Verhaftungswelle traf 2017 Hunderte Menschen- und Frauenrechtler:innen. 2019 wurden fünf Männer wegen homosexueller Handlungen öffentlich geköpft. Das Land hat den Jemen mit einem blutigen Krieg überzogen. Und der königliche Schirmherr der Künste wird persönlich für den 2018 mit einer Kettensäge ermordeten Journalisten Jamal Khashoggi verantwortlich gemacht.

Verständlich, dass sich Künstler:innen angesichts der Pandemie die wenigen Auftritte nicht entgehen lassen wollen. Wahrscheinlich deswegen ist Justin Bieber den Rufen nicht gefolgt, seinen Auftritt im Kulturprogramm der Formel-Eins-Premiere in Dschidda, noch einem Leuchtturm der Vision 2030, abzusagen. Nur der britische Rennfahrer Lewis Hamilton nannte die Zustände dort „absolut furchterregend“ und bestritt das Rennen mit einem Regenbogenhelm.

Es geht nicht um Boykott oder Canceln, aber gerade diese Biennale verdiente einen Streit zum Verhältnis von Kunst und Politik. Verstörend, dass von der sonst so gerechtigkeitssensiblen Kunstwelt bislang kein kritisches Wort zu ihr zu vernehmen war. Wie rechtfertigen der Bildhauer Wolfgang Laib, der Filmemacher Lawrence Lek und der Installationskünstler Timur Si-Qin, die als Künstler aus Deutschland in Riad gelistet sind, ihre Teilnahme an dem Event?

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