Katerina Gregos geht nach Athen

Katerina Gregos wird erste Direktorin des Nationalen Museums für Zeitgenössische Kunst (EMST) in Athen. Das gab die griechische Kulturministerin Lina Mendoni kürzlich in der griechischen Hauptstadt bekannt.

Das Museum, neben dem Nationalen Museum für Zeitgenössische Kunst in Thessaloniki einziges öffentliches Museum für Moderne Kunst in Griechenland, war vor zwanzig Jahren in der historischen Fix-Brauerei im Zentrum Athens gegründet worden, nachdem Kulturaktivisten deren Abriss verhindert hatten.

Seitdem stand es bis auf wenige Ausstellungen überwiegend leer, verfügte über keinen Etat, die Wirtschaftskrise in Griechenland verhinderte die Öffnung. 2017 war das EMST Hauptausstellungsort der documenta 14 von Adam Szymczyk. Im Gegenzug wurde die Sammlung des Museums im Museum Fridericianum in Kassel gezeigt.

Mehrere Versuche, einen Direktor des Hauses zu berufen scheiterten. Neben Ausstellungsmacherinnen in Griechenland war Adam Szymczyk zeitweise selbst dafür im Gespräch, lehnte wegen der schlechten Ausstattung aber ab.

Die Ernennung von Gregos durch die konservative Regierung der Nea Dimokratia unter Ministerpräsident Konstantinos Mitsotakis lässt aufhorchen. Denn die 1967 in Athen geborene Kunsthistorikerin hatte sich in den letzten Jahren einen Ruf als eine der profiliertesten europäischen Kuratorinnen mit einer ausgeprägt kritischen Agenda erworben.

Wenn es so etwas wie einen roten Faden durch ihre kuratorische Arbeit gbt, dann die Erforschung des Verhältnisses von Kunst, Gesellschaft und Politik mit einem speziellen Augenmerk auf alle Fragen von Demokratie, Menschenrechte, Ökonomie, Krise und die wechselnden Kreisläufe der internationalen Produktion.

2012 kuratierte sie im belgischen Mechelen die Ausstellung „The State of Newtopia“ zum Jahrestag der Erklärung der Allgemeinen Menschenrechte. 2014 folgte im Brüsseler Museum Bozar die Ausstellung „No Country For Young Men“, die sich mit den Folgen der Austeritätspolitik in ihrer Heimat beschäftigte. Dort war sie 2006/7 auch Direktorin des Argos-Zentrums für audiovisuelle Kunst.

2012 war sie Co-Kuratorin der Manifesta, 2015 kuratierte sie den belgischen Pavillon auf der 56. Biennale von Venedig, 2018 war sie erste Kuratorin der neu gegründeten Riga-Biennale. In Deutschland war in Freiburg im letzten Jahr ihre Schau „Die Liebe in digitalen Zeiten“ zu sehen.

Mit Gregos Berufung könnte das wahrwerden, was die documenta 14 mit ihrer Standortwahl auch immer intendiert hatte: Eine Belebung der griechischen Kunstszene, eine Verschiebung des internationalen Fokus zum krisengeplagten Süden und mehr Aufmerksamkeit für eines der spannendsten ästhetischen Terrains in Europa. Auf ihre ersten Ausstellungen darf die internationale Kunstöffentlichkeit zu Recht gespannt sein.

Gregos, die bislang in Brüssel wohnt, wird ihr Amt am 1. Juli antreten.

Die Kraft des Rätsels. Kunst und Populismus.

„Für einen linken Populismus“. Es ist kaum drei Jahre her, dass Chantal Mouffe in der Debatte um den Umgang mit den Politikstrategien der Neuen Rechten mit einer überraschenden Intervention provozierte. Die Politologin reihte sich damit ein in die lauter werdenden Rufe von der progressiven Seite, den Populismus nicht bloß zu schmähen.

Der belgische Historiker David van Reybrouck etwa sieht in der Unterrepräsentation der Unterschicht in der Politik die Achillesferse der Demokratie. „Das Schicksal der Geringqualifizierten ist zu wichtig, um es dem dunklen Populismus zu überlassen“, begründete er ein Jahr vor Mouffes Intervention in einem Essay sein Plädoyer für eine „große linkspopulistische Partei“.

Die Versuche der Ehrenrettung eines in Verruf geratenen Begriffs hatten einiges für sich. Schließlich war es linker Politik zu allen Zeiten darum gegangen, eine Volksbewegung gegen ungerechte Herrschaft oder strukturelle Gewalt in all ihren Schattierungen zu initiieren. Schon in der späten Römischen Republik versuchten die „Popularen“ Land- und Sozialreformen gegen die „Optimaten“ durchzusetzen.

Die Einwände gegen den Populismus liegen freilich ebenso auf der Hand. Würde der Versuch, die Linke im Kampf gegen Postdemokratie und Neoliberalismus dadurch schlagkräftiger zu machen, dass sie Methoden der rechten Populisten übernimmt, am Ende nicht selbst in der Sackgasse des Völkischen, Rassistischen und Xenophoben enden?

Wer könnte garantieren, dass sich so tatsächlich der progressive „kollektive Willen“ formen ließe, der Mouffe vorschwebt? Auch Mouffes Mahnung, der Linken könne die „Radikalisierung der Demokratie“ nur gelingen, wenn sie erkenne, wie wichtig Affekte als treibende Kraft in der Politik seien, bleibt einem angesichts des Washingtoner „Volks“-Aufstandes vom 6. Januar im Halse stecken.

Was die Kultur im Allgemeinen anbetrifft, rennen Mouffe et al. mit ihrem Schlachtruf gleichsam offene Türen ein. Das Verhältnis der Linken zum Populären ist spätestens seit Antonio Gramscis Entdeckung der Massenkultur als Medium und Schauplatz der Kämpfe um Hegemonie tendenziell positiv.

Selbst die Kultur der (bürgerlichen) Moderne kennzeichnet der Versuch, die Grenze zwischen Kunst und Leben, Kunst und Volk zu überwinden, sich das Populäre einzuverleiben – vom Kubismus über die Pop- bis zur Street-Art. Den vorläufigen Höhepunkt des ästhetischen Populismus markiert der britische Künstler Banksy.

Wer die Inflation von Ausstellungen diverser Moderichtungen und – schöpfer, über Marvel-Comics oder Rockstars wie David Bowie oder Björk bis hin zu dem brutalen Populisten Ai Weiwei in den letzten Dekaden in den großen Museen der Welt beobachtet, kann ohne Übertreibung behaupten, dass die großen Kulturinstitutionen dem Populären Raum einräumen, es nobilitieren wollen. Mit der Gefahr, dadurch ihre Rolle als Orte aufzugeben, die sich von der Konsumgesellschaft unterscheiden.

Populistische Kunst für das Volk, nicht für die kulturelle Elite, leitet sich aus den Formen und Zeichen der populären Massenmedien und Alltagsikonen ab. Indem sich KünstlerInnen in den Sozialen Medien offensiv als populäres Symbol inszenieren, spiegeln sie diesen populären Markt wider.

Ob derlei populäre Kunst den gesellschaftlichen Fortschritt befördert hat, ließe sich allerdings bezweifeln. Andy Warhols Siebdrucke zum Electric Chair aus den Death-and-Disaster-Paintings haben den Vormarsch eines Todesstrafen-Populismus à la Donald Trump nicht stoppen können.

Welche konkreten Formen der Kunst Mouffe in dem gegenhegemonialen Stellungskampf präferiert, bleibt vage. Offenbar geht es nicht um eine linke Variante der Quote, die neurechte Bewegungen etwa dem nationalen Schlager in den Hitparaden einräumen wollen. Ihr geht es eher um „künstleraktivistische Praktiken“ wie denen Alfredo Jaars, des Künstlerduos Yes Men oder ein „Ensemble von Sprachspielen“. Ihnen traut sie „gegenhegemoniale Interventionen“ zu, die „kleine Risse im System“ schaffen könnten.

Mouffe geht es um die Produktion von „Ideen, denen die Macht eignet, zu berühren“. Keine antikapitalistische Anstrengung komme im semiotisch, performativ und emotional kodierten Postfordismus mehr ohne die Mobilisierung der Affekte und Leidenschaften aus. Doch wenn sie die Kunst als Medium definiert, das dabei helfen soll, neue „Formen der Identifizierung“ zu ermöglichen, reduziert sie diese auf die Rolle eines Emotions- und Zeichengenerators.

Und auch wenn sich dieses „andere Begierde- und Affektregime“ an einer egalitären und demokratischen Vision orientierte, diente die Kunst in ihrem Konzept dann einem politischen Zweck: der hegemonialen Operation, das zu konstruieren, was sie ein „Volk“ nennt (und nicht etwa wie Hans Haacke „Die Bevölkerung“).

Und sie diente dem Zweck, die „agonistische Dynamik“ gegen die postpolitische Erstarrung zu befördern. Populismus im Sinne des ressentimentfreien Rückgriffs auf das Populäre und Alltägliche kann die Kunst entmystifizieren und sie als Teil einer breiteren Kultur markieren. Kunst, die diesen Terminus verdient, erfordert jedoch Nachdenken. Ohne Diskurse, Geschichte und Theorie würde sie diese auf einen billigen Nervenkitzel reduzieren.

Die Schwundstufe des kulturellen Populismus lässt sich an den Hinterlassenschaften des vierjährigen, künstlerischen Sturmlaufs gegen Donald Trump ablesen: Trump mit Hitler-Bärtchen, als Klopapierrolle, als riesiger Luftballon, das ihn als Baby in Windeln und mit Handy zeigt. Mal bläht sich der Autokrat zum XL-McBurger aus Wurst- und Käsescheiben, mal entfährt der amerikanischen Freiheitsstatue die Sprechblase „Help“.

Kunst ist komplex. Sie wird immer in Spannung zu populistischen Idealen stehen. Sie bildet Gesellschaft und Gemeinschaft. Sie ist aber auch ein System, das die eingeübten Codes, Bildzeichen und das Vokabular stört. Ihr Charakteristikum ist die Kraft eines Rätsels, das nicht sofort zu entschlüsseln ist. Sie fordert die alltägliche Erfahrung heraus, setzt auf das Unerwartete. Mit anderen Worten: Sie ist das genaue Gegenteil von Populismus.