Saudi-Arabien klotzt mit der größten Kulturoffensive der Kulturgeschichte seit den Medici. Rezension des Buches „Art in Saudi-Arabia. A New Creative Economy?“

„I was stunned“. 2022 traute die Künstlerin Halla bint Khalid ihren Augen nicht. Am Abend des 22. August hatten die saudi-arabischen Behörden Ashraf Fayadh freigelassen.

Nur geballter internationaler Protest hatte den Künstler, Kurator und Poeten 2015 vor der Todesstrafe gerettet. Seine islamkritische Kunst galt den Religionsgerichten als Indiz für den Abfall vom Glauben. Mit seiner Freilassung aus dem Gefängnis hatte niemand mehr gerechnet.

Rebecca Proctor und Alia Al-Senussi erwähnen in ihrem Buch über die saudische Kulturrevolution, die Kronprinz Bin Salman seinem Land 2016 unter dem Titel „Vision 2030“ verordnete, die aufsehenerregende Entscheidung, um deren Ambivalenz zu unterstreichen.

Als Indiz für eine Zivilisierung des Regimes in Saudi-Arabien taugt Fayads ein Jahr zurückliegender Fall dennoch nicht. Dem strategisch inszenierten Aufbruch zu mehr Freizügigkeit standen dort 2023 170 Hinrichtungen gegenüber, 23 mehr als im Jahr zuvor. Eine zivilisatorische Vision sieht anders aus.

Es spricht für den ersten zusammenhängenden Insiderinnenbericht der saudischen „Schocktherapie“ (US-Professor Bernard Haykel), dass seine Autorinnen deren Schattenseiten nicht verschweigen. Auch wenn sie nicht gerade zu den Speerspitzen des investigativen Journalismus zählen.

Proctor ist Ex-Chefredakteurin des Hochglanz-Magazins Harper’s Bazaar Art; Al-Senussi, eine libysche Prinzessin, bewegt sich in der lukrativen Grauzone der internationalen Art-Entrepreneurs, sie hat die Art Basel beraten und das saudische Kulturministerium.

Immerhin hat sie über das Thema promoviert. Den mutmaßlichen, königlichen Auftragsmord an dem Blogger Jamal Khashoggi erwähnen die Autorinnen explizit. Dennoch sympathisiert das Duo mit der „Vision 2030“.

Ihr Argument: Die unüberschaubare Kette von Biennalen, Festivals, Autorennen und futuristischen Wüstenstädten könnte eine Kreativwirtschaft initiieren, die Saudi-Arabien den Weg in eine postfossile Zukunft eröffnet.

In Dubai und Katar setzten die Herrschenden mit ihrer milliardenschweren Kulturklotzerei auf Prestige, in Saudi-Arabien auf die Aktivierung der Gesellschaft. Das habe eine soziale Dynamik in Gang gesetzt. Auch wenn die Autorinnen als zentralen Widerspruch der Vision ausmachen, dass sie Freizügigkeit propagiert, aber unter strikter Kontrolle des Staates steht.

Das mitunter etwas „visions“-selige Buch überzeugt immer dann, wenn die Autorinnen die Verhältnisse konkret beschreiben: Die Werden der Szene in den sechziger Jahren, in denen Künstler:innen wie Mounirah Mosly oder die 1940 geborene Safeya Binzagr auf den Plan traten, die heute den Ehrentitel „Mutter der saudischen Kunst“ trägt.

Sie beschreiben die Gründung der ersten saudischen Kunstschulen 1960; wie Mohamed Farsi, der Bürgermeister von Dschidda, 1974 einen Art-Boulevard aus 400 Skulpturen in der Hafenstadt installieren ließ; dass ausgerechnet die westliche Konzeptkunst in Saudi-Arabien gedieh, weil sich mit ihr das islamische Bilderverbot umgehen ließ.

2002, ein Jahr nach dem Attentat auf die New Yorker Twin Towers, gründeten Künstler um Abdulnasser Gharem und Ahmed Mater die Kunstbewegung „Shatta“. Sie wollten eine saudische Kunst jenseits der Adaption des westlichen Modernismus begründen. Das salmanische „Kunstwunder“ ist also nicht vom Himmel gefallen.

1979 geriet diese autochthone Szene unter den Druck der „Zwillingsrevolution“: Dem konservativen Backlash nach dem Attentat des islamischen Fundamentalisten Dschuhaiman auf die Große Moschee von Mekka 1979 und der Revolution Khomeinis im Iran.

Halla Bint Khalid erzählt, wie sie als Schulkinder damals die Bilder von Menschen und Tieren aus ihren Büchern eliminieren mussten. Was fast 30 Jahre verfolgt wurde, traut sich heute wieder ans Licht der Öffentlichkeit.

Derlei Ambivalenzen steht freilich weiterhin eine mehr als miserable Menschenrechtsbilanz in Saudi-Arabien gegenüber. Da bleibt es rechtfertigungsbedürftig, wie sich die deutsche Kuratorin Ute Meta Bauer dazu hergeben konnte, die zweite Ausgabe der 2021 gegründeten Diriyah-Biennale zu kuratieren, die Mitte Februar in Riad ihre Toren öffnet. Auf das Paradox einer „Kunstfreiheit“ in einer Diktatur, die ihre Gegner notfalls hinrichtet, darf man gespannt sein.

Art in Saudi Arabia. A New Creative Economy? By Rebecca Anne Proctor with Alia Al-Senussi. Lund Humphries, London 2023, 130 Seiten, 19,99 Pfund (23 Euro) 

In Deutschland darf es keine Staatsräsön-Kultur geben

Wie bekämpft man den Antisemitismus nach den Mordaktionen des 7. Oktober in Israel? Der Kulturkampf, der danach ausbrach, zeigte, wie schwer sich Kultur und Politik damit tun, die Eruption des Hasses zu analysieren und zu bekämpfen – auch in den eigenen Reihen.Bestimmt nicht mit der Flucht in die martialisch intonierten Leerformeln, die der seitdem tobende Kulturkampf gebiert.

Dass die Flucht in martialisch intonierte Leerformeln Teil des Problems ist, demonstrierte die Philosophieprofessorin Judith Butler. Der intellektuelle Fixstern der akademischen Linken weigerte sich, den Terror der Hamas gegen unschuldige Israelis zu verurteilen und bestand halsstarrig und ohne Empathie für die Opfer auf der Pflicht zur „Kontextualisierung“.

Ähnlich stereotyp war die Forderung in Deutschland, die Staatsbürgerschaft nur noch an jene zu verleihen, die das Existenzrechts Israels anerkennen. Dazu verstärkte sich die ohnehin verbreitete Neigung, jede Kritik an Israel als antiisraelischen Hass zu schmähen.

Die Liste der überstürzten Reaktionen auf vermeintlich antisemitische Haltungen im Gefolge des 7. Oktober ist lang. Es traf nicht nur die jüdische Künstlerin Candice Breitz, deren Ausstellung im Saarland-Museum mit Billigung der saarländischen Kulturministerin Streichert-Clivot abgesagt wurde, weil sie sich angeblich nicht genügend von der Hamas abgegrenzt habe.

Der Boykott traf auch die russisch-amerikanische Journalistin Masha Gessen, die jüdischen Autorinnen Susan Neiman, Deborah Feldman, Adania Shibli oder die britische Schriftstellerin A.L. Kennedy. Der jüdischen Schriftstellerin Eva Menasse warf man Israelfeindlichkeit vor, weil sie zwischen der politischen und der ästhetischen Haltung der palästinafreundlichen Autorin Sharon Dodua Otoo unterschieden wissen wollte.

Wenn jetzt dem – problematischen – Aufruf „Strike Germany“ vorgeworfen wird, er verweigere mit seiner Aufforderung zum Kulturboykott Deutschlands den für die Kultur substanziellen Dialog, ist das wohlfeil. Der überzogene Aufruf ist auch eine Reaktion auf die Verweigerung des Dialogs mit den in Deutschland teils zu Unrecht gemaßregelten Künstler:innen, die von solchen Embargos betroffen waren.

Die Sorge der, der Sympathien mit der Hamas gewiss unverdächtigen „New York Times“, dass „eine Flut abgesagter Veranstaltungen Deutschlands Ruf als Hort der künstlerischen Freiheit bedroht“ ist also nicht ganz von der Hand zu weisen.

Der israelische Philosoph Moshe Zuckermann kritisierte einst Israels Politik gegenüber den Palästinensern als „Barbarei eines illegalen Okkupationsregimes“. Wiederholte der Sohn polnisch-jüdischer Holocaust-Überlebender diese Kritik heute in Deutschland, müsste er wohl mit der Absage seines nächsten Vortrags rechnen.

Generalverdacht, Ende der Debatte, Cancel Culture. In diesen Reflexen offenbart sich derselbe Rückzug in hermetische Lager wie bei dem Streit um die documenta fifteen im vorvergangenen Jahr – in dem einen verschanzten sich die Freunde des Globalen Südens, in dem anderen die unerbittlichen Anti-Antisemit:innen.

So rigide, wie sie derzeit geführt wird, läuft die Debatte auf einen bedenklich verengten Diskurs hinaus. Ungefähr wie zu Zeiten des RAF-Terrors, wo die leiseste Gesellschaftskritik mit einer Distanzierung von Baader, Meinhof&Co eingeleitet werden musste.

Zeiten, in denen antisemitisch motivierte „Vorfälle“ und Straftaten jedes Jahr auf neue Höchstzahlen klettern, verlangen nach mehr als Ermahnungen. Der jüngste, glücklicherweise bald wieder zurückgenommene Move des Berliner Kultursenators Joe Chialo (CDU), die Definition zum Antisemitismus der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) zur Vorbedingung der staatlichen Kulturförderung zu machen, die Antizionismus mit Antisemitismus gleichsetzt, dürfte aber auf einen ähnlichen Automatismus wie in den siebziger Jahren hinauslaufen.

Joe Chialo gelang damit das Paradox, eine Definition zur Weisheit letzter Schluss erklären zu wollen, die die IHRA selbst als vorläufig, als „Arbeitsdefinition“ versteht und von der selbst einige ihrer Erfinder sagen, dass sie ob ihrer Vagheit die Rede- und Meinungsfreiheit unterdrücken und begrenzen könnte.

Und er glaubte, die Debatte über die konkurrierende „Jerusalemer von der Definition“ quasi auf dem Verordnungswege abwürgen zu können, statt einen Dialog mit der Zivilgesellschaft und den Kulturinstitutionen darüber in Gang zu setzen, welche Maßnahmen am besten gegen Antisemitismus schützen.

Chialo muss sich vorwerfen lassen, dass er mit seinem überstürzten Vorgehen dazu beigetragen hat, dass sich der Aufruf wie „Strike Germany“ überhaupt erst entwickeln konnte, mit dem über 1000 Kulturschaffende aus aller Welt zu einem Kulturboykott Deutschlands aufrufen, weil sie glauben, dort gäbe es eine flächendeckende Zensur. – was so pauschal nicht stimmt.

Politische Hassreden und Produkte der künstlerischen Imagination können nicht an derselben, noch dazu von der Politik oktroyierten Schablone gemessen werden. Wenn jetzt auch noch die documenta-Verantwortlichen auf die Idee kommen, Chialos nun ad acta gelegte Formel zu einer Art Präambel künftigen kuratorischen Handelns in Kassel zu machen, in dem sie die von einer Beratungsgesellschaft vorgeschlagenen „Codes of conduct“ für die künftige Geschäftsführung der Schau und deren Kuratorische Leitung mit ähnlichen Klauseln füllen, ist die ohnehin angeschlagene Schau endgültig erledigt.

Es läuft dem Wesen der Kunst zuwider, auf ideologische Vorgaben festgelegt zu werden. Gerade in Deutschland darf es keine „Staatsräson“-Kunst, geschweige denn eine „Staatsräson“-documenta geben.

Zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung gehört nicht nur die Absage an den Antisemitismus, sondern auch das Recht auf freie Meinungsäußerung. Es gibt keinen Ausweg aus dem „Skandal der freiheitlichen Ordnung“ (der Berliner Verfassungsrechtler Christoph Möllers), dass die Kunstfreiheit und das Zensurverbot des Grundgesetzes auch Meinungen schützen, die dieser Gesellschaft aus guten Gründen nicht gefallen – rassistische oder antisemitische eingeschlossen. Die Grenze des Hinnehmbaren regelt das Strafrecht. Das schon jetzt Aufrufe zur Volksverhetzung, Rassenhass und gruppenspezifische Formen der Menschenfeindlichkeit unter Strafe stellt.

Es bedarf keiner zusätzlichen juristischen Leitplanken, die zwangsläufig die Gefahr bergen, die Kunstfreiheit einzuengen: Einerseits durch vorauseilende Selbstzensur, andererseits durch eine Regelabfrage oder dem Verfassungstreue-Check eingeladener Künstler:innen analog zu der von Beamten. Es bedarf vielmehr einer wachsamen Zivilgesellschaft, die sich, wie in Kassel vor anderthalb Jahren, zu Wort meldet, wenn etwas aus dem Ruder zu laufen droht.

In der Hitze der jetzigen Debatte droht das berechtigte Beharren auf einer Abgrenzung vom Hamas-Terror und der Verteidigung des Existenzrecht Israels in ein leeres Ritual umzuschlagen: das blinde Schwingen der Antisemitismus-Keule und einen proisraelischen Bekenntniszwang.

Der in Sonntagsreden gern beschworenen Streitkultur und dem leider wohl nie endenden Kampf gegen das zivilisatorische Grundübel Antisemitismus ist mit schnell auswendig gelernten Bekenntnisformeln, die die Folge solcher Gebote wären, aber wenig gedient. Sondern nur mit einer offenen Debatte ohne Tabus über dessen Entstehungsgründe und Erscheinungsformen. Wo, wenn nicht in der Kultur, in der Kunst sollte sie geführt werden? Dazu muss sie frei bleiben.

Antisemitisch? Israelfeindlich? Der Krach beim Pen-Berlin um Ernst Piper und Eva Menasse offenbart eine Strukturschwäche des öffentlichen Diskurses um den Gaza-Krieg und die Folgen

Wie bekämpft man den Antisemitismus nach den Mordaktionen des 7. Oktober? Gewiss nicht so wie der immer schärfere Kulturkampf, der seitdem tobt. So manche suchen da ihr Heil in gestanzten Bekenntnissen und ideologischen Schablonen.

Diese Flucht in martialisch vorgetragene Leerformeln gilt für die Weigerung der US-Philosophieprofessorin Judith Butler, den Terror der Hamas punktuell zu verurteilen. Ihr Buzzword war die Pflicht zu dessen – wie sie sagte – „Kontextualisierung“.

Die Flucht in martialisch vorgetragene Leerformeln gilt aber auch für den Ruf in Deutschland, die Staatsbürgerschaft nur noch gegen ein Bekenntnis zum Staat Israel zu verleihen, dieses Bekenntnis als „Staatsräson“ gar im Grundgesetz zu verankern. Und die Neigung, jede Kritik an Israel als antiisraelischen Hass zu schmähen.

Zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung gehört freilich nicht nur die Absage an den Antisemitismus, sondern auch das Recht auf freie Meinungsäußerung. Selbst der Aufruf zum Boykott, das urteilten Deutschlands oberste Richter mehrmals, kann durch dieses Recht gedeckt sein.

Wenn die saarländische Kulturministerin meint, sie könne die Absage einer Ausstellung der südafrikanischen, jüdischen Künstlerin Candice Breitz durch das Saarland-Museum rechtfertigen, weil sie sich – was nicht stimmt – nicht genügend von der Hamas abgegrenzt und Israel zum Waffenstillstand aufgerufen habe, läuft das auf einen gefährlich verengten Diskurs hinaus.

Ungefähr wie zu den Zeiten des RAF-Terrors, wo nur die leiseste Gesellschaftskritik mit einer Distanzierung von Baader, Meinhof&Co eingeleitet werden musste.

Diesem Reflex folgt auch die Entscheidung des Autors Ernst Piper, den Pen Berlin zu verlassen. Die Warnung seiner Pen-Kollegin, der Philosophin Susan Neiman, ebenfalls Jüdin, vor einem „verordneten Philosemitismus“, mag zugespitzt sein.

Israelfeindlich ist sie genauso wenig wie der Einwurf seiner Pen-Kollegin, der Schriftstellerin Eva Menasse, zwischen der politischen und der ästhetischen Haltung der Autorin Sharon Dodua Otoo zu differenzieren, die vor acht Jahren eine Petition zum Boykott Israels unterschrieben hatte.

Der israelische Historiker und Philosoph Moshe Zuckermann kritisierte einst die Politik seines Heimatlandes gegenüber den Palästinensern als „Barbarei eines illegalen Okkupationsregimes“. Heute müsste der Sohn polnisch-jüdischer Holocaust-Überlebender damit rechnen, dass sein nächster Vortrag in Deutschland abgesagt wird, wenn jemand dieses Zitat entdeckt.

Generalverdacht, Ende der Debatte, Cancel Culture. In diesen Reflexen offenbart sich genau derselbe Rückzug in die hermetischen Lager wie bei dem Streit um die documenta fifteen – hier die Freunde des Globalen Südens, da die unerbittlichen Anti-Antisemit:innen.

Bei allem Verständnis für die Kritik an der bestürzenden Kälte und Distanz vieler Intellektueller in der ganzen Welt angesichts der israelischen Opfer des Terrorangriffs der Hamas vom 7. Oktober.

In der Hitze der jetzigen Debatte droht das berechtigte Beharren auf einer Abgrenzung von derem Terrorismus und auf dem Existenzrecht Israels in ein sinnentleertes Ritual umzuschlagen: das blinde Schwingen der Antisemitismus-Keule und einen proisraelischen Bekenntniszwang.

Der Streitkultur und dem leider wohl nie endenden Kampf gegen das zivilisatorische Grundübel Antisemitismus ist mit derlei rhetorischen Automatismen aber wenig gedient. Sondern nur mit einer offenen Debatte ohne Tabus. Wo, wenn nicht in der Kultur sollte sie geführt werden.

Defne Ayas als „zu radikal“ abgelehnt. Der Streit um die Ernennung von Iwona Blazwick zur Kuratorin der 18. Istanbul-Biennale eskaliert in der Türkei.

„Wir freuen uns, dass Iwona Blazwick unserer Einladung gefolgt ist, die 18. Istanbul-Biennale zu kuratieren“. Als die Istanbuler Stiftung für Kunst und Kultur (IKSV) in der vergangenen Woche diese Pressemitteilung verschickte, klang das nach den rituellen Formeln des Kunstbetriebs.

Im gebührenden Abstand zur Kunstbiennale vom letzten September gab die private Stiftung, die von der Industriellen-Familie Eczacıbaşı unterhalten wird und die renommierte Biennale veranstaltet, die Kuratorin für die nächste Ausgabe im September 2024 bekannt.

Auf den ersten Blick klang das wie eine gute Nachricht. Die 1955 geborene, britische Kunstkritikerin und Dozentin ist ein respektiertes Schwergewicht der internationalen Kunstszene.

Sie forschte über Henry Moore, arbeitete für die Londoner Tate, war über zwanzig Jahre Direktorin der Whitechapel Gallery in der britischen Hauptstadt. Blazwick gilt als Wegbereiterin der Young British Artist um Damien Hirst, sitzt in zahlreichen Beratungsgremien.

Was ihre Berufung heikel macht, sind deren Hintergründe. Nach Informationen der taz setzte sich die Stiftung über das Votum des IKSV-eigenen „Advisory Boards“ hinweggesetzt, das einstimmig die in Berlin lebende, türkisch-deutsche Kuratorin Defne Ayas auserkoren hatte.

Auch Ayas ist im Betrieb keine Unbekannte. Die Kunsthistorikerin leitete sechs Jahre das damals „Witte de With“, heute „Melly“ genannte Zentrum für zeitgenössische Kunst in Rotterdam, kuratierte zahlreiche Biennalen vom südkoreanischen Gwangju über das Baltikum bis Shanghai und kann ebenfalls auf eine stattliche Anzahl von „Advisory“-Panels verweisen.

Eine taz-Anfrage nach den Gründen für die Ablehnung Ayas‘ und die Entscheidung für Blazwick ließ die IKSV unbeantwortet. Insider vermuten, dass sie mit Ayas‘ Rolle als Kuratorin des Türkischen Pavillons auf der Venedig-Biennale 2015 zu tun haben, den ebenfalls die IKSV verantwortet. Im Jahr der 100. Wiederkehr des Völkermords an den Armeniern stellte Ayas unter dem Titel „Respiro“ den türkisch-armenischen Künstler Sarkis vor.

Prompt gab es Ärger mit der türkischen Regierung, weil Rakel Dink, die Witwe des ermordeten armenischen Journalisten Hrant Dink, im Katalogessay das Wort „Genozid“ verwandt hatte.

Sarkis Arbeit ist derzeit offenbar problemlos in einer Sarkis-Retrospektive des Istanbuler Kunstmuseums Arter zu sehen. Deren Inhaber, die private Koç-Foundation fungiert seit vielen Jahren als Hauptsponsor der Istanbul-Biennale. Ayas selbst bereitet gerade eine Sarkis-Schau unter dem Titel „7 Days, 7 Nights“ in der Staalichen Kunsthalle Baden-Baden im Oktober dieses Jahres vor.

Wollte die IKSV sich ähnlichen Ärger bei ihrer nächsten Biennale vermeiden? Wenn es stimmt, dass einer der Gründe für die Ablehnung ist, dass Ayas „zu radikal“ ist, so wurde eine interne IKSV-Einschätzung kolportiert, dann fragt sich, welchen Wert die Istanbul-Biennale noch hat, schließlich hat erst diese Haltung die Biennale weltweit berühmt gemacht.

Viele in der türkischen Kunstszene stellten dieser Tage die ironische Frage,  warum sich die IKSV ein Advisory Board hält, wenn es im Zweifelsfalle dann doch nichts zu sagen hat. Als Konsequenz daraus sind mittlerweile Selen Ansen, Kuratorin des Istanbuler Arter-Kunstmuseums sowie der spanische Kurator Agustín Peréz Rubio aus Protest als Mitglieder des Advisory Boards zurückgetreten. Nun schwappt der Zwist in die türkische Kunstöffentlichkeit.

Künstler:innen wie Köken Ergun, Duygu Demir oder Banu Cennetoğlu bemängeln in den sozialen Medien, dass die IKSV zum ersten Mal in ihrer Geschichte nicht die Namen der Jury veröffentlichte und, dass Blazwick 2015, 2017, 2019 und 2022 selbst Mitglied des Advisory Board gewesen sei. „Könnte es sein, dass sie sich selbst berufen hat? Ist das ein Muster?“ – so oder ähnlich lauten die Posts.

Natürlich kann die IKSV, wie sie in einer schnell zusammengezimmerten Erklärung nach dem Bekanntwerden der Personalie klarstellte, die Empfehlungen des Advisory Boards übergehen.

In dem immer autoritäreren Kontext der Türkei verfehlt die IKSV mit ihrem Vorgehen aber nicht nur die Zeichen von „transparency“ und „accountability“, die Kunstinstitutionen weltweit verstärkt von sich einfordern. Auch das politische Signal ist zwiespältig.

Denn seit 2022 leitet Blazwick das Projekt „Arts AlUla“, einer gigantischen, jährlichen Open-Air-Skulpturenausstellung im saudischen Al-ʿUla, einer Oase mit prähistorischen Gesteinsformationen und Ruinen, nordwestlich von Medina. Zudem soll sie ein Museum der Zeitgenössischen Kunst aufbauen.

Diese Projekte gehören zur „Vision 2030“, mit der Kronprinz Mohammed Bin Salman eine Modernisierung seines Landes einleiten will. Die Bildende Kunst spielt darin eine Schlüsselrolle.

Folgt die IKSV damit dem Vorbild Recep Tayyip Erdoğans? Fünf Jahre nach dem von ihm heftig kritisierten Mord an dem Blogger Jamal Khashoggi, den Salman in Auftrag gegeben haben soll, hatte der türkische Staatspräsident im Juli mit einem Besuch in Dschidda die Beziehungen zu dem Königreich still normalisiert.

Im Gegenzug für den Verkauf türkischer Kampfdrohnen, hofft Erdoğan auf Finanzhilfen aus Riad, um seine heimischen Haushaltslöcher zu stopfen.  Am lukrativen saudischen Kunst- und Investitions“wunder“ wollen derzeit viele partizipieren.

Innovative Form, widerständige Ästhetik: Die vierte Autostrada-Biennale im kosovarischen Prizren

Pferde ohne Reiter, hoch erhoben auf ehernen Sockeln. Luchezar Bouyadjievs Werke sind schon oft ausgestellt worden. Aber noch nie dürften sie so gut platziert worden sein wie auf der 4. Autostrada-Biennale, die Anfang Juli im kosovarischen Prizren eröffnete.

Seit zwanzig Jahren verfolgt der bulgarische Künstler sein Projekt der Dekonstruktion des Habitus von Militärs, Königen und nationalen Helden. Dazu retuschiert er aus Reiterstandbildern, die er auf der ganzen Welt fotografiert, die menschlichen Gestalten heraus.

Luchezars Serie mit dem ironischen Titel „On vacation…“ hängt derzeit in einem stillgelegten Militärhangar in dem ehemaligen Terrain der UN-KFOR-Truppen, die die Demilitarisierung des Kosovo nach den Kriegen 1998/99 überwachen sollten. In diesem gut bewachten Kontext geben sie einen besonders starken Kontrast ab.

Als die KFOR-Truppen 2018 das Feldlager unter dem Kommando der Bundeswehr, das schon im osmanischen Reich militärisch genutzt worden war, verließen, nutzte die klitzekleine Autostrada-Biennale in Kosovos zweitgrößter Stadt die Gelegenheit. Flugs verlegte sie ihr Hauptquartier in das Gelände, in dem die Stadt gerade ein Innovationszentrum aufbaut.

Autostrada, der Name der 2017 zum ersten Mal veranstalteten Kunstausstellung klingt wie eine Kreuzung aus einem Fellini-Film der 50er Jahre und der Werbung der Berliner CDU für ihr bevorzugtes Mobilitätsmittel.

Doch der Name, den drei junge Kulturschaffende aus Prizren ihrem Kind gaben, funktioniert mehr als ironische Metapher auf die zahlreichen Investitionsruinen, die vielen Ländern des Balkans ihre Spuren hinterlassen haben – von nicht fertiggestellten Shopping-Malls über Einfamilienhäuser bis zu Autobahnen.

Der Bildhauer Leutrim Fishekqui, die Pädagogin Vatra Abrashi und der Filmregisseur Baris Karamuço, damals alle Endzwanziger, wollten lieber in etwas sinnvolles investieren. Deshalb gründeten sie eine Kunst-Biennale.

In dem Kreis der weltweit rund 250 Biennalen ist Autostrada etwas Besonderes. Denn den balkanischen Kunst-Aficionados geht es nicht um Spektakel-Kultur, Standortmarketing oder noch einen Gentrifizierungsmotor. Sie wollten das kulturelle Vakuum in einem Land füllen, in dem die Bildende Kunst kaum eine Rolle spielt.

Vor allem sollte ihre Biennale nicht nur nach dem üblichen, zweijährigen Ritual ablaufen. Sondern zwischen den Ausstellungen als Anlaufstelle für junge Menschen dienen, die ihre künstlerischen und kreativen Kräfte schulen wollen, aber keine Möglichkeit dazu finden.

Nahezu jede:r, der im 2008 unabhängig erklärten Kosovo Derartiges verwirklichen will, will in Deutschland studieren. Für einen Staat mit knapp zwei Millionen Einwohnern, der kleiner ist als Thüringen, ist dieser Brain-Drain ein Problem.

Rund 60 Jugendliche haben die Curator Labs und die Bildungsprogramme der Autostrada-Biennale: Neue Medien, Textil, Design, bislang durchlaufen, mehr als die Hälfte von ihnen Frauen.

In einer eigenen Werkstatt in den Hangars werden die Kunstwerke für die Biennale gefertigt. Reste von Arbeiten aus vorhergegangenen Editionen und der abgezogenen Truppen werden zu neuen Werken verarbeitet.

In dieses innovative Format haben die beiden Kuratorinnen Joanna Warsza und Övül Durmuşoğlu in nunmehr zwei von ihnen verantworteten Ausgaben den Geist einer widerständigen Ästhetik eingefüllt.

Das Berliner Duo, weit über Berlin bekanntgeworden durch seine „Balkone“-Ausstellung 2021 in Prenzlauer Berg während der Pandemie, versteht sich auf eine spannende Balance aus Politik und Schönheit.

Steht für die Politik ein Mann wie Luchezar, steht für letzteres Neda Saeedi. Die Künstlerin hat das leere Zentrum des alten Partisanendenkmals an der Flusspromenade von Prizren mit einer gelb-blauen Glasarbeit sacht entideologisiert, in der sechs stilisierte Amseln umeinanderkreisen. Damit nimmt sie den Mythos des Amselfeldes auf, der das Wort Kosovo bedeutet.

Gleich gegenüber hat Kostas Bassanos Walter Benjamins berühmten Satz: »Es ist niemals ein Dokument der Kultur, ohne ein solches der Barbarei zu sein« aus großen Holzbuchstaben an den Lauf des Lumbardhi-Flusses gestellt, der Prizren wie ein Gebirgsbach durchspringt.

Ein kritisches Memento, das den anschwellenden Tourismus in der pittoresken Destination mit vielen Kulturdenkmälern vielleicht nicht zur Umkehr, aber doch für ein paar Minuten zum Nachdenken bringen könnte.

In der eine Fahrtstunde entfernten Hauptstadt Pristina hat Hera Büyüktascian den Hof einer ausrangierten Ziegelfabrik mit leuchtend blauen Stoffbahnen ausgelegt, um an die vergessenen oder verbauten Wasserläufe des Kosovo zu erinnern.

Im Unterschied zur Manifesta, die im vergangenen Jahr mit derlei Arbeiten ebenfalls in Pristina gastierte, ist die kleine Autostrada-Biennale aber eine selbstorganisierte Bottom-up-Initiative vor Ort.  

Der Wille, sich mit Kunst und Kultur gleichsam selbst aus dem Sumpf des schleichenden Bedeutungsverlust ihrer Heimat zu ziehen, ist die überall spürbare Energie dieses bewundernswerten Unternehmens.

Unter ihrem Biennale-Titel „All images will disappear one day“ spielen Warsza und Durmuşoğlu mit der Idee von der Nachhaltigkeit der Kunst, die sie gegen die kurzlebige visuelle Kultur der Gegenwart setzen. Wobei sie natürlich mit jedem ihrer 30 ausgewählten Werke den Beweis für die nie endende Präsenz aller Bilder liefern.

Immerhin etwas von ihrer Idee, das Unsichtbare, Verborgene sichtbar zu machen, scheint in den Arbeiten des 1930 geborenen Xhevdet Xhafa auf.

In Westeuropa ist dieser grandiose Vertreter des abstrakten Expressionismus nahezu unbekannt. In großformatigen, monochromen, an Pierre Soulages erinnernden Bildern, hat er Alltagsgegenstände integriert.

Was bleibt, wenn die Bilder verschwinden, so ließe sich seine, „Autobiographie“ betitelte Serie interpretieren, sind vage, amorphe Erinnerungen.

Manchmal kehren aber auch die alten Bilder zurück. Mitrovicas Bürgermeister Bedri Hamza von der Mitte-Rechts-Partei PDK war die Rührung anzusehen, als er vorvergangenen Sonntag ausgerechnet Alban Mujas Werk „Moving Monument – Moving Back“ an dem zweiten Außenstandort der Biennale eröffnete.

Weil die Replik davon, die er in der Autostrada-Biennale 3 vor zwei Jahren präsentiert hatte, so viel Aufsehen erregte hatte, hatte der Künstler, der aus Mitrovica stammt und heute in Berlin lebt, das Denkmal „Gleichheit, Arbeit und Bildung“, welches in den frühen siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts errichtet worden und 2010 aus, bis heute ungeklärten Gründen von ihrem zentralen Platz entfernt worden war, mit dem Autostrada-Team nachgebaut.

Der Umriss zweier aufrechtstehender Männer und einer Frau, die Werkzeuge, eine Taube und ein Buch in ihren Händen halten, stand emblematisch für das Ideal der sozialistischen Gesellschaft, die 1989 mit dem Staat Jugoslawien zerfiel. Etwas von dieser zeitlosen Idee hat in der großartigen Initiative namens Autostrada-Biennale überlebt.

www.autostradabiennale.org

Das neue Haus der Kulturen der Welt (hkw) hat seine Arbeit aufgenommen

„Wir kommen in Frieden“. Mit dem ersten Satz seiner Auftakt-Rede im Haus der Kulturen der Welt schien Bonaventure Soh Bejeng Ndikung seine (nicht wenigen) Gegner beschwichtigen zu wollen. Doch der Abend wurde ein Triumph kuratorischen Selbstbewusstseins ohne jede Selbstüberhebung: politisch, ästhetisch, moodmäßig. Obendrein alles noch quite fashionable.

Der Kontrast zu der bisweilen etwas streng-steifen Oberstudienratsästhetik und dem akademischen Habitus, mit dem Ndikungs Vorgänger Bernd Scherer und Anselm Franke auftraten, konnte nach dem knallbunten und musikalisch grundierten Auftaktwochenende Anfang Juni kaum größer sein.

Sas muss kein inhaltlicher Rückschritt sein. Ndikungs viel zitiertes Stichwort von der „Konvivalität“ klingt ein ein wenig nach Klassenkompromiss in den Fragen, bei denen sich Scherer und Franke einem schärferem Agonismus verpflichtet fühlten.

Doch die dahinter stehende Suche nach einer neuen Kunst miteinander zu leben (con-vivere) entstammt den diversen Schulen, die nach Alternativen zum Neoliberalismus und veränderten Formen des Zusammenlebens jenseits der Wachstumsgesellschaft suchen.

Vielmehr geht es darum, so steht es in dem Manifest, das Frank Adloff und Claus Leggewie in ihrem entsprechenden Manifest 2014 veröffentlichten, „den Primat des Ökonomischen“ zu brechen.

Auch der „Quilombismo“, der der ersten Kunstausstellung den Titel gab, war kein Versuch des Kotaus vor der stereotypen Afrika-Vorstellung des westlichen Massenpublikums und seiner kommerziell ausgebeuteten Ästhetik in Foodcourts und Jahrmärkten – nur weil die darin präsentierte Kunst so bunt und anschaulich war und nicht in Form des „paperworks“ daherkam, für das das hkw bislang stand.

„Die „Afro-Brazulian Political Alternative“, die der brasilianische Künstler, Aktivist und Hochschullehrer Abdias Nascimento schon 1980 mit dem Terminus bezeichnete, bezieht sich auf die von Sklaven entwickelten Ansätze eines ökonomischen Kommunitarismus. Es ist das Verdienst des neuen hkw diesen Ansatz ins Bewußtsein zu heben.

Das neue hkw muss natürlich erst einmal nachmachen, was dem „alten“ gelang: Mit dem Stichwort „Anthropozän“ hat es einen nicht zu unterschätzenden Paradigmenwechsel zwar nicht erfunden, aber doch durchsetzen helfen.

Doch das, was bislang zu sehen und zu hören war, spricht dafür, dass dem neuen hkw gelingen könnte, was dem Humboldtforum nie gelingen wird: Den Grundstein für eine glaubwürdige Plattform einer transkulturellen Zukunft zu legen, die gemeinsam zu erarbeiten ist.

Der Auftakt war jedenfalls ein schlagender Beweis, dass Gesellschaftsanalyse und Sinnlichkeit, Kritik und gute Laune, Rationalität und Emotionalität, Distanz und Nähe kein Gegensatz sein müssen, sondern zwei Teile derselben dialektischen Medaille. Die neue Energie, das Gefühl von Gastfreundschaft und Inspiration waren gleichsam körperlich zu spüren.

Ein transformiertes Haus macht natürlich noch keinen postkolonialen Sommer. Und fragwürdige Versuche musealer Selbstmaskierung und Diversitätsfolklore gab es schon einige. Doch dies war zweifellos ein historischer Moment für die deutsche Kulturgeschichte.

Präsident Erdoğan eröffnet das Istanbul Modern Kunstmuseum

Bleibt Türkiye, so heißt die Türkei seit neuem auf Geheiß ihres Dauerpotentaten, doch modern? Schwer zu sagen, ob Recep Tayyip Erdoğan diese Message senden wollte, als er 19. Mai im Kunstmuseum Istanbul Modern aus den Händen von Oya Eczacıbaşı ein großes Bild des Hauses entgegennahm.

Seit Monaten hatte die türkische Kunstszene gerätselt, wann der Neubau des 2004 in einer Lagerhalle an der Uferpromenade des Stadtteils Karaköy am alten Hafen von Istanbul eröffneten Kunstmuseums endlich öffnen würde. Der langgestreckte Bau, den der Industriellenclan Eczacıbaşı bei dem Architekten Renzo Piano in Auftrag gegeben hatte und an ein Schiff erinnert, war seit Monaten fertig, Nachfragen, wann es denn nun endlich losgeht, wurden aber ausweichend beantwortet.

Offenbar scheute die Unternehmerfamilie, die auch die Istanbul Kültür Sanat Vakfi (IKSV-Stiftung) betreibt, die die 1987 gegründete Istanbul Biennale ausrichtet, die Zeit vor den Wahlen. Schließlich öffnete das Haus am 4. Mai still und leise seine Pforten für das normale Publikum.

Doch so wie schon der Architekt Erol Tabanca sein privates Kunstmuseum Odunpazarı in Eskişehir 2019 nur in Erdoğans Anwesenheit eröffnen durfte, kamen auch die Eczacıbaşıs in Istanbul nicht um den allgegenwärtigen Staatschef herum.

Offizieller Anlass für den Auftritt auf dem Terrain der säkularen Kultur, die Erdoğan sonst gern mit Hassreden überzieht, war der „Tag der Jugend und des Sports“. Dafür hätte es auch das nahe Sportstadion getan. Doch Taktiker Erdoğan wollte die Kulisse des kulturellen Leuchtturms für die zweite Wahlrunde am 24. Mai instrumentalisieren.

Eine Kampfansage an die Moderne wurde die Präsidentenrede zwar nicht. Vor der Wahl wollte er offenbar keine schlafenden Hunde wecken. Ein etwas müde wirkender Erdoğan lobte seine Erfolge bei der Rettung der osmanischen Kulturgüter und wünschte dem Museum viel Glück.

Doch die gequälten Gesichter von Bülent Eczacıbaşı und seiner Frau Oya, der Direktorin des Museums, bei Erdoğans 20minütiger Ansprache wirkten wie ein Sinnbild für die Lage der Kunst in der Türkei am Vorabend seines mutmaßlichen Siegs: Gute Miene zum autoritären Spiel machen.

Abgrundtiefe Verzweiflung nicht nur bei den Künstler:innen in der Türkei nach 2023 den Präsidentschaftswahlen

„Ich weine wie verrückt“. Der Tweet, den die Pop-Diva Sezen Aksu am Tag nach der ersten Runde der Präsidentschaftswahl in der Türkei absetzte, brachte die Lage auf den Punkt: Abgrundtiefe Verzweiflung unter den Kulturschaffenden. Monatelange Mobilisierung und Dauerpräsenz in den Sozialen Medien hatten nichts genutzt.

Die unverbrüchliche Treue der ländlich-konservativen Klientel zu ihrem Idol Erdoğan kann sich die Kuratorin Övül Ö. Durmusoglu, eine der intelligentesten zeitgenössischen Kurator:innen mit türkischem Hintergrund, nur noch mit dem Stockholm-Syndrom erklären: Der schizophrenen Liebe der Gepeinigten zu ihren Peinigern.

Nach dem Sieg im Zweiten Wahlgang schälen sich zwei Fraktionen in der türkischen Kultur- und Intellektuellenszene heraus: Die Zweckoptimisten wie Güneş Duru. „Wir wussten, dass es nicht leicht werden würde“ beschwichtigt der Musiker und Dozent an der Istanbuler Mimar Sinan-Kunstuniversität.

Die Essayistin Ece Temelkuran versucht, die Niederlage in ein Misstrauensvotum gegen Erdoğan umdeuten. Sie verweist auf die gute Hälfte des Landes, die ihm im ersten Wahlgang die Unterstützung verweigert hat. Durchhalten und weiterkämpfen ist ihre Devise. Auf Dauer werde Erdoğan nicht durchalten können.

„Egal, ob wir gewinnen oder verlieren“ sagt Asena Günal, Geschäftsführerin der Kulturorganisation Anadolu Kültür, „wir werden immer so weiterarbeiten, als stünden wir am Anfang des Weges“. Günals Chef, der seit über 4 Jahren inhaftierte Kunstmäzen Osman Kavala, dessen Freilassung Oppositionsführer Kemal Kılıçdaroğlu von der sozialdemokratischen CH-Partei versprochen hatte, kann seine Hoffnung darauf nun ebenso begraben wie Selahattin Demirtaş, der Ex-Chef der kurdischen HD-Partei, der im Gefängnis zum Schriftsteller wurde.

Nach dem Sieg Erdoğans müssen sich Künstler und Intellektuelle darauf gefasst machen, dass der gestärkte Präsident die Daumenschrauben bei allen anziehen wird, die sich in der Euphorie des Wahlkampfs kritisch geäußert hatten. Charakteristisch war die Reaktion des bekannten türkischen Komponisten FazılSay.

Hatte der im Wahlkampf Stimmung für die Opposition gemacht, gab er hernach konsterniert eine Entschuldigung zu Protokoll. Er wolle in Zukunft nur noch „die Musik sprechen lassen und ansonsten „schweigen“. Zwar hat die türkische Zivilgesellschaft im Allgemeinen und die Kunstszene im Besonderen in 20 Jahren Herrschaft Erdoğan eine staunenswerte Resilienz bewiesen.

Auf die werden sie sich auch in den nächsten fünf Jahren verlassen müssen.

Aber selbst eine hartgesottene Erdoğan-Gegnerin wie die 1942 geborene Kuratorin Beral Madra, die 1987 die 1. Istanbul-Biennale kuratiert hatte, bekennt nun: „Ich habe Angst“.

Zuletzt gab es mit Neugründungen in Bursa, Ankara und Izmir sogar einen kleinen Boom kritischer Artspaces. Dennoch dürfte sich der Exodus von Künstler:innen, Akademiker- und Ärzt:innen aus dem Land beschleunigen. Schon jetzt beherbergt Berlin die zweitgrößte türkische Kunstcommunity der Welt nach Istanbul. Seit ein paar Jahren wohnt bereits Gülsün Karamustafa, deren Grande Dame, in Berlin-Prenzlauer Berg.

Zwar rühmte sich Erdoğan kurz vor der Wahl damit, 164 Museen in der Türkei renoviert zu haben. Und am 19. Mai lud er sich zum „Tag der Jugend und des Sports“ selbst in das von Star Architekt Renzo Piano neu erbaute und Anfang Mai unauffällig eröffnete Kunstmuseum Istanbul Modern der Unternehmerfamilie Eczacıbaşı ein. C

lanchef Bülent Eczacıbaşı und seine Frau Oya, die Direktorin des Museums, säkulare Kunstfreunde bis ins Mark, saßen mit versteinertem Gesicht in der ersten Reihe. Eine Kulturrevolte gegen die Moderne, die er sonst gern mit Hassreden überzieht, war Erdoğans Ansprache zum „Tag der Jugend und des Sports“ nicht. Ausgeschlossen, dass sich unter dem neualten Dauerpotentaten eine liberale, öffentliche Kulturpolitik entwickeln könnte wie sie Istanbuls Bürgermeister Ekrem İmamoğlu derzeit durchsetzt.

Eher dürfte die Islamisierung des Landes weitergehen. Verstärkt durch den nationalistischen dip dalga (silent wave) der auch zwei islamistische Splitterparteien erstmals ins Parlament beförderte. Eine deutsch-kurdische Künstlerin war sich sicher: „Mit diesem Ergebnis ist die Türkei auf dem Weg zum zweiten Iran“.

Ein Fall von Klassenverrat. Zur Bau- und Wohnungspolitik der SPD

„Man kann einen Menschen mit einer Wohnung erschlagen wie mit einer Axt“. Das hat nicht August Bebel gesagt, sondern sein Zeitgenosse Henrich Zille. Das Mietskasernenelend des proletarischen „Milljöhs“ am Ende des 19. Jahrhunderts, das der legendäre Künstler mit dem Spruch anprangerte, existiert zumindest im Berlin des 21. Jahrhunderts zwar so nicht mehr.

An Cholera, Typhus und den Blattern, wie es Friedrich Engels in seinen Schriften zur Wohnungsfrage beklagte, sterben Mieter:innen der deutschen Hauptstadt nicht mehr reihenweise. Wiewohl es natürlich auch heute noch so „infame Schweineställe“ (Engels) wie damals gibt.

Aber die „Wohnungsfrage“ unserer Tage ist zu einer ähnlichen sozialen Zeitbombe geworden wie das Wachsen des Proletariats am Ende des Kaiserreichs. Was sich nicht nur an den rasant steigenden Obdachlosenzahlen und den Zeltlagern des Lumpenproletariats unter Brücken und S-Bahn-Bögen, vor Supermärkten und in Sparkassen ablesen lässt.

Berlin hat seit den 2000er Jahren einen ebenso rabiaten wie konzertierten Angriff des internationalen Investmentkapitals auf einen, infolge von 40 Mauerjahren relativ günstigen Wohnungsmarkt erlebt. Die Axt, mit der die anonymen Pensionsfonds, Anlagefonds und Briefkastenfirmen, die die dieses lukrative Terrain planmäßig aufrollten, dessen Nutznießer bis heute erschlagen, heißen Mietsteigerung und Umwandlung in Eigentumswohnungen.

„Diese Stadt lässt Dich machen“ – in ihrem neuesten Werbefilm beutet eine Berliner Biermarke einmal mehr das mythische Charisma von der Stadt der unbegrenzten Möglichkeiten aus. Derweil flüchtet sich das unbotmäßige Kreativvölkchen auf das der Spot zielt, ins Umland, weil es die lustigen Orte, an denen er gedreht wurde, nicht mehr bezahlen kann oder von der öden Investarchitektur a la Mercedes-Benz-Arena am Spreeufer plattgemacht wird.

Es ist diese kaum verhüllte Gier des frei flottierenden, globalen Finanzkapitals, das zum Volksentscheid am 26. September 2014 geführt hat. Dabei hatten sich bekanntlich 59,1 Prozent der Abstimmenden dafür ausgesprochen, profitorientierte Wohnungsunternehmen wie die Deutsche Wohnen oder Vonovia, in Gemeineigentum zu überführen.

Es gehörte schon einige Chuzpe von SPD-Spitzenfrau Franziska Giffey dazu, ausgerechnet diese urbanen „Würgeengel“ (Friedrich Engels) zu Partnern für ein „Bündnis für Wohnungsneubau und bezahlbares Wohnen“ auszurufen. Die ideologische Augenwischerei bestand darin, eine sozialpartnerschaftliche Symmetrie zu suggerieren, die nicht existiert. Der Fall des Milliardärs Nicolas Berggruen steht dabei pars pro toto. Kaum hatte er sich in der Stadt mit ein paar Vorzeigeprojekten das Image des Kulturfreunds zugelegt, warf er seine Mieter:innen reihenweise aus ihren Wohnungen und Ateliers.

Es steht paradigmatisch für die Lage der linken Volkspartei, dass sie die „Expropriation der Expropriateure“ wie der Teufel das Weihwasser scheut, die die Theoretiker der Arbeiterbewegung von Karl Marx über August Bebel bis Otto Bauer propagierten. Selbst Kevin Kühnert wollte ja mal BMW kollektivieren. Stattdessen bemüht Giffey das Gewissen, das schwieg, als sie bei ihrer Doktorarbeit schummelte, um diese Initiative zu verhindern.

Lassen wir das Moralargument einmal beiseite, hinter dem sich eine ähnliche Entideologisierung von Politik verbirgt wie hinter der stereotyp wiederholten Formel „Das Beste für Berlin“ – als ob es nicht um die soziale Gestaltung der Stadt gegen deren Gegner ginge.

Lassen wir auch die Ablehnung eines demokratischen Mehrheitsvotums für eine in der Verfassung vorgesehene Maßnahme beiseite. Den Profiteuren des größten anzunehmenden Wohnungsproblems seit dem 2. Weltkrieg will Giffey nun gar noch Steuererleichterungen gewähren, um den Wohnungsbau anzukurbeln.

So hartnäckig, wie sich Giffey gegen ein ursozialdemokratisches Politikprojekt verwahrt, fragt man sich langsam: Von wem wird diese Frau bezahlt? Von der SPD? Den Steuerzahler:innen? Oder der Immobilienwirtschaft? Primus – dem „Immobilienentwickler im Luxussegment“, der die SPD mit einer Spende von verdächtigen 9.999 Euro bedachte, dankte sie mit den Worten: „Sie können mich bei Fragen oder Anregungen gerne direkt ansprechen“.

Auch nach der Wahl bleibt die Rhetorik auffällig: Kein Tag vergeht ohne neue Beispiele von Verdrängung und Entmietung – einer anderen Form von Enteignung. Doch der jetzt vorgestellte Koalitionsvertrag mit der CDU sorgt sich um die „schwierige und krisenhafte Rahmenbedingungen in der Bauwirtschaft“ – kein Wort über die existenzielle Gefährdung Tausender Mieter:innen.

Im schwarz-roten Koalitionsvertrag fehlen klare Regelungen zu ihrem effektiven Schutz, neue Ideen zum Mietendeckel oder dem vom Bundesverwaltungsgericht kassierten Vorkaufsrecht. Dem zwielichtigen Karstadt-Investor René Benko soll dagegen der Weg bereitet werden. Giffey als Bausenatorin zu nominieren, hat da eine gewisse Logik. Die Projektentwickler für die geplante Randbebauung des Tempelhofer Feldes werden sich die Hände reiben.

Der zügigen Umsetzung des Enteignungsbeschluss des Volksentscheides versuchen die Koalitionäre mit dem Ankauf von Wohnungen das Wasser abzugraben. Was teurer würde als die Überführung von Gemeineigentum. Sollte die eingesetzte Expert:innenkommission doch grünes Licht dafür geben, soll das „Vergesellschaftsungsrahmengesetz“ aber erst zwei Jahre nach Verabschiedung in Kraft treten.

Die SPD-Spitze säuselt von einer „Koalition für alle“. So massiv wie die Spitze der Sozialdemokratie für die Besserstellung der Expropriateure Front macht, fühlt man sich eher an Friedrich Engels“ Diktum von 1872 erinnert: „Der Staat ist nichts als die organisierte Gesamtmacht der besitzenden Klassen, der Grundbesitzer und Kapitalisten gegenüber den ausgebeuteten Klassen, den Bauern und Arbeitern. Was die einzelnen Kapitalisten …nicht wollen, das will auch ihr Staat nicht“.

Man kommt sich vor wie ein Steinzeit-Marxist. Aber bei der Politik, der die SPD in der „Wohnungsfrage“ den Weg bereitet, fällt einem leider kein anderes Wort ein als das verstaubte Totschlag-Argument altlinker Dogmatiker: „Klassenverrat“.

Das Handwerk des Grauens. Mathias Enards neuer alter Roman: „Der perfekte Schuss“ ist ein Meisterwerk

„Soldaten sind Mörder“. Wer heute wiederholt, was Kurt Tucholsky 1931 in der „Weltbühne“ schrieb, muss noch immer mit einem Aufschrei der Empörung rechnen. Schließlich gilt Landesverteidigung immer noch als Ehrendienst.

Matthias Enards Roman „Der perfekte Schuss“ kommt wie der Versuch daher, Tucholskys Spruch zu belegen. Denn der Soldat, der in seinem Mittelpunkt steht, versucht gar nicht, sein todbringendes Handwerk mit einer höheren Moral zu legitimieren.

Das Werk spielt in einem unbestimmten Kriegsgeschehen zu unbestimmter Zeit. Es gibt keine gute oder böse Seite in dem Konflikt. Der Ich-Erzähler arbeitet als Scharfschütze an vorderster Front und sichert den Vormarsch der Truppen seines Landes ab.

An vorderster Front

Kaltblütig nimmt er, meist von einem vorgeschobenen, aber sicheren Beobachtungsposten gegnerische Soldaten ins Visier. Manchmal knallt er auch einfach ohne Grund Lebewesen ab.

Den ersten feindlichen Soldaten erschießt er „aus einer Art Neugier“. Mal trifft es dann eine Katze, mal einen Falken im Beuteflug, mal eine junge Frau im Morgengrauen, ohne dass ersichtlich wird, warum. 

Im Gegensatz zu den manchmal barock ausufernden Vorgängerwerken Enards ist sein 2003 erstmals in Frankreich veröffentlichter Roman ein Muster an Sprachökonomie: Kalt, effizient, zielsicher.

Dieses Werk ist selbst wie ein tödlich sitzender Schuss. Es gibt keinen überflüssigen Satz, kein entbehrliches Wort in ihm.

Der ledige Ich-Erzähler agiert zwar wie ein kaltblütiger Killer. Doch es sind die Umstände, die ihn nach dem Tod seines Vaters jung zum Soldaten gemacht haben.

Im Grunde seines Herzens sehnt er sich nach „Behaglichkeit und Ruhe wie in einer echten Familie“, wenn er nach einem Einsatz in die Wohnung zurückkommt, wo er mit seiner, irre gewordenen Mutter lebt. Kein Wunder, dass er „Ruhe und Professionalität“ als „die sichersten Verbündeten“ des Tötens betrachtet.

Trotz der teils unvorstellbaren Grausamkeiten und des unaufhörlichen Tötens ist Enards Buch kein Pamphlet gegen den Krieg. Es diskreditiert an keiner Stelle den Beruf des Soldaten aus einer moralischen Perspektive.

Dafür ist sein Protagonist zu sehr von seinem Tun überzeugt. Selbst wenn er einmal Gewissensbisse hat, weil er einen Kameraden erschießen muss, stellt er das ständige Töten nie in Frage.

Wie eine sanfte Droge

Was dieses Buch zu einem einzigartigen, atemberaubenden, von Sabine Müller kongenial übersetztem Meisterwerk macht, ist, wie der Ich-Erzähler einen verhängnisvollen Selbstlauf nachvollziehbar macht.

Mag sein Töten anfangs noch einen legitimen Grund gehabt haben. Irgendwann führt das Handwerk des Grauens dann doch an den Punkt, der dem namenlosen Soldaten eines Tages durch den Kopf geht, als er sich eine Art Philosophie seiner Obsession zurechtlegt.

„Das Schießen“ resümiert er, „ist wie eine sanfte Droge, man will immer mehr davon, immer schönere Treffer, immer schwierigere“. Gleich zu Beginn des Romans dekretiert er, das Gewehr müsse „Teil deines eigenen Körpers werden“.

Es ist diese Konditionierung, die es ihm unmöglich macht, normale menschliche Beziehungen einzugehen.

Deswegen scheitert auch sein Werben um Myrna, dem 15 Jahre jungen Mädchen, das er engagiert, um seine Mutter während seiner Einsätze zu betreuen und in das er sich verliebt.

Ein Soldat, so ließe sich Enards aufwühlende Parabel lesen, kann auch zum Mörder werden, ohne selbst zu töten.

Matthias Enard: Der perfekte Schuss. Roman. Aus dem Französischen von Sabine Müller. Hanser Berlin, 192 Seiten, 24 Euro

Deutschlandfunk Kultur, Dienstag, 21.3.2023