Art Week Berlin 2020: Wie die „Positions Art Fair“ vom Pilotfisch zum Leitmodell avancierte

Kaiserwetter, lange Schlangen vor den Hangars, keine Konkurrenz. Dass die Berliner „Positions Art Fair“ einmal zum Vorzeigemodell werden würde, damit hatten Kristian Jarmuschek und Heinrich Carstens, die Organisatoren der Schau, wohl nicht gerechnet.

Während überall auf der Welt die Kunstmessen abgesagt wurden, avancierte der bisherige Pilotfisch des Berliner Kunstmessegeschehens plötzlich zum Signal des Überlebenswillens einer in den Abwärtssog der globalen Pandemie geratenen Branche.

Der Flickenteppich aus der im April abgesagten „Paper Positions“, der „Foto Basel/Berlin“ und der „Fashion Position“, mit Design aus Berlin, den die beiden Messechefs in zwei Hangars des Tempelhofer Flughafens für die Art Week zusammenschoben hatten, war mehr eine Notgeburt: Ganz ohne messeähnlichen Auflauf sollte die Art Wekk dann doch nicht bleiben.

Mit rund 130 Ausstellern aus 50 Ländern wirkte sie aber plötzlich wie die Kunstmesse, die Berlin schon immer haben wollte, die ihr aber nie wirklich gelang. Vergessen all die verkrampften Versuche der Berliner Kunstmessen-Etablierung vom elitären Art Forum bis zur prätentiösen abc.

Die Verkaufs-„Messe in St. Agnes“, mit der Galerist Johann König schon zum zweiten Mal die ausgefallene Art Basel – auf eigene Kosten – zu kompensieren suchte, ist trotz 800 Objekten doch zu sehr ein solitär zusammengestricktes One-Man-Event, als dass sie die gleiche Ausstrahlung hätte wie die Positions in den alten Flughangars.

Und die Ausstellung „K60“, in der die sieben Berliner Galerien alexander levy, BQ, ChertLüdde, Klemm’s, Kraupa-Tuskany, Plan B und PSM in dem denkmalgeschützten Gebäude einer ehemaligen Eisengießerei in Berlin-Reinickendorf auf 3000 Quadratmetern 23 Künstler*innen zu einer Präsentation von Videoarbeiten, Skulpturen und Mixed Media Installationen eingeladen hatten, firmierte dann doch mehr unter konzeptueller Geheimtipp.

Dass die „Positions“ nun zur „Abbildung aktueller Kunstdiskurse“ beigetragen hätte, wie die Veranstalter etwas vollmundig angekündigt hatten, lässt sich freilich nur schwer behaupten. Dazu konzentrierte sich das Angebot dann doch zu sehr auf Malerei der verkaufsträchtig bunten Art.

Aber auch in diesem Malstrom des Mainstream ließen sich Entdeckungen machen wie die kleine, zerfließende Porträtzeichnung von Altmeister Max Uhlig bei der Berliner Galerie Brusberg oder die wie Wunden aufklaffenden Porträtfotos des jungen Künstlers und Aktivisten Imraan Christian aus Kapstadt bei der Galerie Artco.

Mit den „Academy Positions“, bei denen AbsolventInnen von Kunsthochschulen erstmals präsentieren durften und den auffällig vielen Modelabels, die mit Recycling-Techniken experimentierten, gewannen die Veranstalter diesem scheckigen Jahrmarkt sogar noch eine Art perspektivischen Gemeinnutzen ab.

Im Wesentlichen lebte die Messe freilich von dem Willen der Kunstliebhaber*innen nach der Begegnung, die sich bei den vielen, stillen „Soft Openings“ der Art Week, Biennale inklusive, immer nur wie unter Schalldämpfer vollzog. Dass der ganze, so splendide wie exklusive VIP-Zirkus der Art Week in diesem Jahr fehlte, war erholsam. Ganz ohne Face-to-face-Kontakt macht auch die entschlackteste Art Week keinen Spaß.

Jedenfalls funktionierte die „Positions“ nach dem Prinzip der aus unerledigten Quarantäne-Energien gespeisten Projektion: Trotz Masken, ausgeklügelter Leitwege, Temperaturmessung und strikt eingehaltener Hygieneregeln konnte man auf dem quirligen Parcours in den wunderbar abgewrackten Hallen so tun, als sei alles wie früher – Wiederholung, Fortsetzung, Neuaufnahme dringend erwünscht.

Das Museum reformieren oder ganz neu gründen?

„Tear it down – Reißt es nieder“. Für die bunte, queere Truppe, die sich vor ein paar Wochen vor dem Neubau des Berliner Schlosses alias Humboldt-Forum zum antikolonialistischen Go-In versammelte, war die Sache klar. Dieses Museum soll gar nicht erst eröffnet werden. Eine Pappattrappe des christlichen Kreuzes, das seit kurzem die Kuppel des umstrittenen Baus ziert, landete unter großem Jubel zerbrochen in der Spree.

„De-colonizing“ – die bei solche Aktionen meist intonierte Vokabel der Koalition progressiver Kulturarbeiter:innen fiel an einem milden Frühherbst-Abend Anfang September in der Berliner Urania, einem der letzten Ort der in die Jahre gekommenen „Volksbildung“, nicht.

Was sicher kein Zufall war. Repräsentierte doch das Podium, das dort über „Proteste, Angriffe, Vorwürfe: Wie frei sind unsere Museen?“ diskutierte, eines der zentralen Probleme vieler europäischer Museen – ihre mangelnde Diversität.

Glaubte man den vier ausnehmend klugen, aber eben doch ziemlich weißen Kulturschaffenden lupenrein deutscher Provenienz, steht es um das, unter schweren Beschuss geratene Museum besser als Mensch so denkt. Hermann Parzinger, Chef der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und damit auch des Humboldt-Forums, entsteht mit kritischen Aktionen und Debatten, ein „Druck, der Energie erzeugt“.

Ulrike Lorenz, seit einem Jahr neue Direktorin der Stiftung Weimarer Klassik, sieht den Legitimationsdruck im Gefolge von Epochenbrüchen wie denen um 1918, 1968 oder dem postkolonialen Revival heute, die einmalige Chance, die „Gesellschaft neu reinzuholen“ ins Museum.

Einzig Frankfurts Kulturdezernentin Ina Hartwig (SPD) näherte sich dem Problem, als sie forderte, das Museum müsse die „Einwanderungsgesellschaft“ zur Kenntnis nehmen, die in Deutschland heute längst Realität sei. Ansonsten konnte man bei dem Panel den Eindruck gewinnen, das Museum sichere seine Zukunft, wenn es nur möglichst viele, möglichst natürlich digitale „Angebote für neue Zielgruppen“ macht, wie es Thomas Müller-Bahlke, Direktor der Franckeschen Stiftungen in Halle forderte.  

Das ist natürlich richtig. Schließlich hat das Museum eine gesamtgesellschaftliche Bildungsaufgabe. In Fortschreibung der Tradition ihres berühmten Vorgängers Hilmar Hoffman fand Hartwig dafür die schöne Formulierung von den Museen als „emphatischen Räumen“, die „uns allen“ gehören und – hier war die Dezernentin dann ganz Adornitin – „Erziehung zur Mündigkeit“ betreiben sollten.

Freilich ist das Museum historisch und ideologisch, daran erinnerte dankenswerterweise Ulrike Lorenz, eben auch ein Institut, in dem sich “die bürgerliche Gesellschaft mit sich selbst verständigt“. Und das sieht man den meisten von ihnen auch heute noch an.

Die Sammlungen der meisten ethnologischen Museen sind großenteils koloniales Raubgut. Die Kunstmuseen folgen überwiegend der obsoleten Idee einer linearen Westmoderne. Von ihrem institutionellen Rassismus und Sexismus einmal ganz abgesehen.

Nur damit, den „Methodenkoffer zu erweitern“ (Lorenz) und mit ein paar Workshops für Migrant:innenkinder wie dem fabelhaften „Krokoseum“ in Halle lassen sich diese Strukturprobleme vermutlich nicht reparieren.

„Neue Fragestellungen zuzulassen“, wie es Müller-Bahlcke forderte, ist sicher ein guter Anfang, um das Museum zeitgemäßer zu machen. Aber muss, wer „das „Politische der kuratorischen Praxis“ (Ulrike Lorenz) wirklich zu Ende denkt, dieses Institut letzten Endes nicht radikal umbauen, ja ganz neu gründen?

Das documenta-Institut als Metapher

Auf ihr documenta-Institut werden die Kasseler Bürger wohl noch lange warten müssen. Die Stadtverordnetenversammlung der Stadt beschloss Anfang August 2020, den geplanten Standort auf dem Parkplatz am Karlsplatz in der Nähe des Rathauses wieder aufzugeben.

Rund 7000 Stimmen für ein Bürgerbegehren „Rettet den Karlsplatz“ schreckten die Parlamentarier derart, dass sie ihren erst im Mai gefassten Beschluss wieder kassierten. Oberbürgermeister Christian Geselle (SPD) und documenta-Generaldirektorin Sabine Schormann sollen nun einen Alternativstandort suchen. So umgehen die Parlamentarier das eigentlich schon für Dezember terminierte Bürgerbegehren.

Schormann und Geselle sollen schon lange mit der jetzigen „documenta-Halle“ am Friedrichsplatz liebäugeln. Die langgestreckte Glashalle ist zwar denkbar ungeeignet, aber ohnehin renovierungsbedürftig. Der häufige Leerstand belastet zudem das documenta-Budget.

Die jüngste Volte einer mehrjährigen Kontroverse offenbart ein Dilemma. Die „documenta-Stadt“ ist stolz auf ihren Ruf als temporäre „Weltkunsthauptstadt“. Mit dem vom Bund mit 12 Millionen, dem Land Hessen und der Stadt Kassel mit je sechs Millionen Euro geförderten Forschungszentrum will sie ihr Renommier- und Markenzeichen polieren. Schon der Streit um den Verbleib von Olu Oguibes Obelisk belegte freilich, wie zögernd sie sich neuen Perspektiven jenseits des Lokalen öffnet.

Ähnlich ist es mit dem documenta-Institut. Mit dem, vergangenen Monat zum Gründungsdirektor des Instituts berufenen, emeritierten Kasseler Soziologieprofessor Heinz Bude (SZ vom 4.8.) setzten die Stadt, die Universität und das Land Hessen auf eine Hauslösung. Hessens ehemaliger Wissenschaftsminister Boris Rhein (CDU) hatte sich seinerzeit zwar ein „Forschungsinstitut von Weltrang“ gewünscht. Internationales Personal kam dafür aber offenbar nicht in Betracht.

Das Institut soll transdisziplinär und innovativ arbeiten. Mit ihrer Idee, es um eine „künstlerische Professur“ zu erweitern, drang documenta-Professorin Nora Sternfeld aber nicht durch. Wie schwer es die Kunst vor Ort im akademischen Kontext hat, zeigt auch der Fall der Kunsthochschule. Sie ist Teil der Kasseler Universität, an der auch das documenta-Institut zum Teil angesiedelt sein soll. „Wir kommen wie Aliens daher“ begründete kürzlich Joel Baumann, Professor für Neue Medien“ entnervt seinen Rückzug vom Amt des Rektors.

Zum Sommersemester 2021 sollen nun drei vom Land Hessen finanzierte Professor*innen für Geistes- und Kulturwissenschaften, Gesellschaftswissenschaften und Architektur, Stadtplanung und Landschaftsplanung an und in dem neuen Institut ihre Arbeit aufnehmen. Ihre Forschungsagenda ist freilich noch nicht erkennbar.

Immerhin hat Hessens derzeitige Wissenschaftsministerin Angela Dorn (Grüne) dem neuen Institut zusätzlich 200.000 Euro für ein Projekt zur „Künstlerischen und Kuratorischen Forschung“ bewilligt.

Trotz dieses Teilerfolgs kehrt die erst 2017 an die Kasseler Kunsthochschule berufene Sternfeld der „documenta-Stadt“ vorzeitig den Rücken. Ab Oktober wird sie als Professorin für Kunstpädagogik an der Hamburger Kunsthochschule (HfBK) für ihre Idee eines „Radikaldemokratischen Museums“ streiten.