Solidarität mit dem türkischen Filmemacher Can Candan

Akademiker in blauen Talaren, aufgereiht in einem stummen Gruppenbild im Garten der Istanbuler Boğaziçi-Universität. Seit über sechs Monaten bietet sich am Bosporus das gleiche Bild.

Der Lehrkörper der renommiertesten Universität des Landes stemmt sich gegen seinen Rektor: Demonstrativ kehren sie dessen Büro auf dem Campus den Rücken, an heißen Tagen mit Sonnenschirm. Die sozialen Medien sind voller Bilder des friedlichen Protestes.

Angefangen hatte alles am Neujahrstag 2021. Damals hatte Präsident Recep Tayyip Erdogan überraschend einen Mann namens Melih Bulu zum neuen Rektor ernannt. Ein Vorgang mit Symbolcharakter. Denn die 1863 unter dem Namen Robert-College als erste amerikanische Universität außerhalb der USA gegründete Hochschule hat den Ruf einer liberalen, weltoffenen Eliteuni mit hohem akademischem Standard.

Kein Wunder, dass sich Lehrkörper und Studierende gegen einen Mann wehrten, der als treuer Parteisoldat Erdogans galt und unter Plagiatsverdacht stand. Auch massiver Polizeieinsatz, der Austausch der Schlüssel oder die Ernennung linientreuer Dekane brachte die Universitätsangehörigen nicht von ihrem Protest gegen den „Zwangsverwalter“ ab – eine Anspielung auf die Staatskommissare, mit denen Erdogan die oppositionellen Bürgermeister im Osten des Landes ersetzt hatte.

„Er wird gehen, wir bleiben!“ hieß einer der Slogans. Schließlich hatten die Protestierenden Erfolg. Der sonst unnachgiebige Präsident ließ am 15. Juli den ungeliebten Rektor plötzlich fallen. Doch die Rache folgte auf dem Fuße. Als erste Amtshandlung entließ der Physiker Naci İnci, neuer kommissarischer Rektor, den Filmemacher Can Candan.

Der Dokumentarfilmer lehrt seit 2007 an der Boğaziçi Medien und Filmtheorie. Der LGTBQ+-Aktivist ist Regisseur der drei preisgekrönten Dokumentarfilme: „Duvarlar – Mauern – Walls“ (2000), „3 Saat“ („3 Stunden“, 2008) und „Benim Çocuğum – Mein Kind“ (2013). Als Chronist des Protestes postet er jeden Tag das aktuelle Standbild vor dem Rektorat.

„Was wir fordern, ist legitim, gerecht und dient dem Gemeinwohl“, hatte der 52-jährige im taz-Interview im März klargestellt. Nun soll Candan für die eigentlich nicht vorgesehene Niederlage Erdogans büßen. Der vorgeschobene Grund des Rektors: Er habe sein Stundendeputat nicht erfüllt und Kolleg:innen beleidigt.

Die Professor:innen der warfen Rektor İnci in einer Erklärung vor, gegen den „Geist“ und das Statut der Uni verstoßen zu haben. In einem „Letter of support“ protestieren mittlerweile auch über 200 internationale Akademiker:innen gegen die Entlassung Candans und den Filmwissenschaftler Feyzi Erçin, eines weiteren Kritikers.

„Wir stehen in Solidarität mit dem unfair entlassenen Filmemacher und Akademiker Can Candan, den Studierenden der Boğaziçi-Universität und den Fakultäten in ihrem Kampf um akademische Freiheit und Autonomie“ schreiben Kulturwissenschaftler:innen wie die Filmprofessorinnen Jane Ganes von der New Yorker Columbia-Universität, Susana de Sousa Dias von der Universität Lissabon oder der Künstler Aykan Safoğlu aus Wien.

Das hat Erdogan von seiner Racheaktion: Die Uni-Schlacht am Bosporus weitet sich jetzt zu einer globalen.