Das documenta-Institut als Metapher

Auf ihr documenta-Institut werden die Kasseler Bürger wohl noch lange warten müssen. Die Stadtverordnetenversammlung der Stadt beschloss Anfang August 2020, den geplanten Standort auf dem Parkplatz am Karlsplatz in der Nähe des Rathauses wieder aufzugeben.

Rund 7000 Stimmen für ein Bürgerbegehren „Rettet den Karlsplatz“ schreckten die Parlamentarier derart, dass sie ihren erst im Mai gefassten Beschluss wieder kassierten. Oberbürgermeister Christian Geselle (SPD) und documenta-Generaldirektorin Sabine Schormann sollen nun einen Alternativstandort suchen. So umgehen die Parlamentarier das eigentlich schon für Dezember terminierte Bürgerbegehren.

Schormann und Geselle sollen schon lange mit der jetzigen „documenta-Halle“ am Friedrichsplatz liebäugeln. Die langgestreckte Glashalle ist zwar denkbar ungeeignet, aber ohnehin renovierungsbedürftig. Der häufige Leerstand belastet zudem das documenta-Budget.

Die jüngste Volte einer mehrjährigen Kontroverse offenbart ein Dilemma. Die „documenta-Stadt“ ist stolz auf ihren Ruf als temporäre „Weltkunsthauptstadt“. Mit dem vom Bund mit 12 Millionen, dem Land Hessen und der Stadt Kassel mit je sechs Millionen Euro geförderten Forschungszentrum will sie ihr Renommier- und Markenzeichen polieren. Schon der Streit um den Verbleib von Olu Oguibes Obelisk belegte freilich, wie zögernd sie sich neuen Perspektiven jenseits des Lokalen öffnet.

Ähnlich ist es mit dem documenta-Institut. Mit dem, vergangenen Monat zum Gründungsdirektor des Instituts berufenen, emeritierten Kasseler Soziologieprofessor Heinz Bude (SZ vom 4.8.) setzten die Stadt, die Universität und das Land Hessen auf eine Hauslösung. Hessens ehemaliger Wissenschaftsminister Boris Rhein (CDU) hatte sich seinerzeit zwar ein „Forschungsinstitut von Weltrang“ gewünscht. Internationales Personal kam dafür aber offenbar nicht in Betracht.

Das Institut soll transdisziplinär und innovativ arbeiten. Mit ihrer Idee, es um eine „künstlerische Professur“ zu erweitern, drang documenta-Professorin Nora Sternfeld aber nicht durch. Wie schwer es die Kunst vor Ort im akademischen Kontext hat, zeigt auch der Fall der Kunsthochschule. Sie ist Teil der Kasseler Universität, an der auch das documenta-Institut zum Teil angesiedelt sein soll. „Wir kommen wie Aliens daher“ begründete kürzlich Joel Baumann, Professor für Neue Medien“ entnervt seinen Rückzug vom Amt des Rektors.

Zum Sommersemester 2021 sollen nun drei vom Land Hessen finanzierte Professor*innen für Geistes- und Kulturwissenschaften, Gesellschaftswissenschaften und Architektur, Stadtplanung und Landschaftsplanung an und in dem neuen Institut ihre Arbeit aufnehmen. Ihre Forschungsagenda ist freilich noch nicht erkennbar.

Immerhin hat Hessens derzeitige Wissenschaftsministerin Angela Dorn (Grüne) dem neuen Institut zusätzlich 200.000 Euro für ein Projekt zur „Künstlerischen und Kuratorischen Forschung“ bewilligt.

Trotz dieses Teilerfolgs kehrt die erst 2017 an die Kasseler Kunsthochschule berufene Sternfeld der „documenta-Stadt“ vorzeitig den Rücken. Ab Oktober wird sie als Professorin für Kunstpädagogik an der Hamburger Kunsthochschule (HfBK) für ihre Idee eines „Radikaldemokratischen Museums“ streiten.

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