Das Kavala-Signal

„Wir haben den Glauben an Demokratie, Frieden und die Herrschaft des Rechts verloren“. Der Stoßseufzer, den die Istanbuler Wirtschaftsprofessorin Ayşe Buğra kürzlich ausstieß, galt eigentlich dem Schicksal ihres Mannes. Mit ihm ließe sich aber auch die Stimmung in der Kunstszene in der Türkei generell beschreiben. Nach dem überraschenden Zugriff auf Osman Kavala Mitte Oktober auf dem Istanbuler Flughafen kann sich niemand mehr Illusionen über die Lage machen.

Denn der 1957 geborene Firmenerbe, einer der wichtigsten Intellektuellen des Landes, ist nicht irgendwer. Der Kunstmäzen gründete 2002 die Stiftung Anadolu Kültür, die sich der Kultur der Minderheiten in der Türkei widmet. Sie unterhält auch den Istanbuler Independent Art Space „Depo“, in dem auch Menschenrechts- und Antizensur-Gruppen arbeiten.

Kavals Verhaftung ist ein Warnzeichen allerersten Ranges. Zum ersten Mal nach der Verurteilung der kurdischen Künstlerin Zehra Doğan im Sommer, ist der bis dahin einigermaßen unbehelligte Kunstbetrieb der Türkei direkt ins Visier der Staatsmacht geraten. Mit seiner Internierung setzt Präsident Erdoğan ein unübersehbares Signal an die liberale Bourgeoisie, es nicht zu weit zu treiben mit der Promotion der liberalen Öffentlichkeit, deren Erhalt sie sich von dem Einsatz für die Kunst erhofft.

Die kunstvernarrten Industriellen-Clans der Koçs, Sabancıs und Eczacıbaşıs, von denen fast der gesamte Kunstbetrieb der Türkei abhängt, werden es vernommen haben. Wie, um ihm Nachdruck zu verleihen, protestierten zur gleichen Zeit religiöse Fanatiker gegen die Statue eines nackten Kauernden des australischen Künstlers Ron Mueck, das Ömer Koç im Abdülmecid Efendi Pavillon, einem Palast aus dem 19. Jahrhundert ausgestellt hatte.

Umso wichtiger, dass das Berliner-Maxim-Gorki-Theater zu seinem 3. „Herbstsalon“ eine Petition von fast 200 Künstlern und Intellektuellen für die Freilassung Kavalas lanciert hat. In einer Situation, wo die Machtclique der AKP durch die jüngsten Korruptionsenthüllungen in den USA in Bedrängnis geraten ist, kann der Druck auf die Türkische Diktatur erhöht werden. Noch vor wenigen Jahren bejubelte alle Welt die boomende Kunstszene am Bosporus. In der Stunde der Gefahr sollte sie ihre hervorragenden Protagonist*innen nicht allein lassen.

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