Berliner Hohlraum

andre-schmitz-steuern-2-540x304Eine Stadt sucht einen Kulturstaatssekretär. In Berlin brodelt die Gerüchteküche. Die Presse vermisst die möglichen Nachfolger des gestrauchelten André Schmitz. Und dieses ziellose Personal-Gestocher im Nebel ist schon ein großer Teil des Problems. Ob es nun der ewige Beamte, Wissenschaftsstaatssekretär Nevermann, Moritz van Dülmen, der Chef der stadteigenen Kulturprojekte GmbH oder der berufsjugendliche Chef der Staatskanzlei, Björn Böhning, wird. Nur mit einem neuen Gesicht ist der Kulturpolitik in Berlin nicht geholfen.

Gefallenen soll man nicht nachtreten. Vor allem weil Schmitz, der 58-jährige Diener der Musen, immer auch ein Gegenstück zu seinem biestigen Chef im Roten Rathaus abgab, dem Regierenden Bürgermeister und eigentlichen Kultursenator Klaus Wowereit: Er war freundlich, gesprächsbereit, ohne jeden Dünkel. Am Ende wand die Kritik dem gut gelaunten Blitzableiter seines Herrn die Lobgirlanden freilich etwas dick. Schmitz hatte zwar mit Shermin Langhoff am Gorki- und Ulrich Khuon am Deutschen Theater gute Keute geholt. Und den Kulturetat stetig gesteigert.

Dagegen stehen spektakuläre Desaster wie die Kunstausstellung “Based in Berlin” im Sommer 2011. Oder der Unwillen, einem Berliner Exportschlager wie Sasha Waltz Perspektiven vor Ort zu bieten. Zuletzt brach der Senat sein Versprechen, Teile der Einnahmen aus der geplanten City-Tax in die freie Szene zurückzuführen – den Humus, der Berlins Ruf als Weltkulturmetropole nach der Wende erst begründete. Diese Klientel verdreht inzwischen schon die Augen, wenn sie die Namen Wowereit und Schmitz bloß hört.

Kein Wunder. Denn von Schmitz ist aus den knapp acht Jahren seiner Amtszeit nicht eine Einlassung in Erinnerung, in der er ein einziges Mal Perspektiven sozialdemokratischer Kultur grundsätzlich umrissen hätte. Als Grüßaugust mit Fliege machte sich der joviale Mann prächtig. Doch wer seinen ordnungspolitischen Kompass in Sachen Kunst und Kultur zu orten suchte, stieß auf einen Hohlraum.

Hatte Hilmar Hoffmann, der legendäre Frankfurter Erfinder des sozialdemokratischen Gütesiegels “Kultur für alle”, noch von der “kulturellen Demokratie” geschwärmt, betätigte sich sein Berliner Enkel als Raubkopierer. Der kulturpolitische Ratschlag, bei dem Schmitz Ende 2012 Protagonisten der Szene zwei Tage lang Szenarien entwickeln ließ, selbst aber schwieg, war symptomatisch. Bella figura, Charmeoffensive und Ideenklau ergeben noch keine gute Kulturpolitik.

In Berlin stinkt der Kulturfisch freilich auch vom Kopf her. Denn solche Perspektiven hat bislang nämlich auch aus dem Mund von Klaus Wowereit, von 1984 bis 1995 immerhin zwölf Jahre Volksbildungsstadtrat in Tempelhof, nie vernommen. Obwohl die Themen hier quasi auf der Straße liegen. Was kann eigentlich “Kultur für alle” im 21. Jahrhundert sein? Ist die Kreativwirtschaft nicht langsam der Feind der Kunst? Freie Szene oder Hochkultur? Wie kann Kultur mit Integration, Migration und Globalisierung umgehen?

Statt Berlin zum Labor für eine, auch den Rest der Republik inspirierende Kulturpolitik der Zukunft zu machen, setzte man hier auf Brot und Spiele. Partylöwe Wowi stand an der Spitze, derweil sein Adlatus der Szene Almosen überreichte. Der Rest versank in der Baugrube der Staatsoper Unter den Linden. Und das in einer Stadt, die so bedeutende SPD-Kulturpolitiker wie Peter Glotz oder Dieter Sauberzweig gesehen hat.

Wenn bei der Schmitz-Nachfolge jetzt auch Berlinale-Chef-Dieter Kosslick ins Spiel gebracht wird, ist das nur ein weiteres Indiz für die Abwesenheit jeder Perspektive auf einem der spannendsten Politikfelder. Denn abgesehen von der Frage, ob der Mann an der Pensionsgrenze wirklich Interesse daran hätte, den Small-Talk mit Cate Blanchett oder George Clooney gegen den mit der Direktorin des Reinickendorfer Heimatmuseums oder dem Kulturstadtrat von Köpenick zu tauschen.

Einem verdienten Veteranen der ausgelaugten Festivalkultur noch eine Ehrenrunde aufs Staatskosten zu spendieren, kann nicht der Sinn der Kulturpflege in der Hauptstadt sein. Berlin braucht keinen Frühstückdirektor oder Administrator sondern endlich wieder einen Programmatiker dessen, was bekanntlich jeden zweiten Herzschlag unseren Lebens, vor allem aber Berlins ausmacht. Für das es dort verrückterweise aber nicht mal einen Senator gibt: Kultur.

Schreibe einen Kommentar