Die Selbstabschaffung der Kunst

Khaled-Jarrar-briefmarkeEin flatternder Sonnenvogel, der an einer rosaroten Blüte nascht. Das Bild, das der Künstler Khaled Jarrar vor Kurzem in Berlin vorstellte, sah auf den ersten Blick wie eine Kitschpostkarte aus. Wer unter der anrührenden Idylle die Inschrift „State of Palestine“ las, bemerkte die Absicht. Der palästinensische Künstler hatte eine Briefmarke für einen Staat erfunden, der überhaupt noch nicht existiert. „Die Selbstabschaffung der Kunst“ weiterlesen

Berliner Büchervernichtung

7-berlin-biennale-sarazzin-664x940Deutschland schafft sich ab. 1, 3 Millionen Exemplare hat Thilo Sarrazin von seinem antimuslimischen Bestseller verkauft. Angesichts dieses sensationellen Erfolgs ist es absolut verständlich, dass viele die Frage quält, welches Kraut gegen den latenten Rassismus gewachsen ist, den er darin so massenwirksam verbreitet.
Der Berlin-Biennale dürfen wir zumindest für die Erkenntnis dankbar sein, wie dieser Geisteshaltung auf gar keinen Fall beizukommen ist. „Deutschland schafft es ab“ heißt das Werk, mit der sich der Bildhauer und Videokünstler Martin Zet an der 7. Ausgabe der Schau beteiligen will, die die Berliner Kunst-Werke im April veranstalten. Es soll, so der Künstler, eine „raumgreifende Installation“ werden. „Berliner Büchervernichtung“ weiterlesen

Nachhilfe für die Politik?

The_Future_of_Art_-_Olafur_EliassonSchwere Quader aus Stein. Der Künstler Olafur Eliasson hatte den Weg in seine große Ausstellung „Innen Stadt Außen“ vergangenes Frühjahr im Martin-Gropius-Bau nicht ohne Grund mit Gehwegplatten gepflastert. Mit der Installation wollte er an das aufregende Leben im Berlin der Nachwendezeit erinnern. Die politischen und kulturellen Räume, die sich damals öffneten, hatten den 1967 geborenen Dänen künstlerisch mehr geprägt als seine Ausbildung an der Kunstakademie Kopenhagen. 1994 zog er an die Spree. „Nachhilfe für die Politik?“ weiterlesen

Democratic Gardening

P1080326Blut und Boden? Unübersehbar stand die Frage im Raum, als Hans Haacke 1999 sein Kunstwerk „Der Bevölkerung“ vorschlug. Dass ausgerechnet der kritischste der deutschen Polit-Künstler deutsche Erde im Reichstag aufschütten lassen wollte, um klarzumachen, dass die Deutschen mehr als nur ein Volk seien, befremdete viele. Haackes von innen beleuchteter Schriftzug konterkarierte zwar das pathetische „Dem Deutschen Volke“ am Frontgiebel des Parlaments. Aber warum, um Himmels willen, wollte er den Teufel Nation unbedingt mit dem Beelzebub Mythos austreiben? Man versteht es bis heute nicht.

Seit elf Jahren wächst nun Haackes Hügelgrab im Hohen Haus. Der 1936 in Köln geborene Künstler ist inzwischen 75 jahre alt geworden. Da ist es vielleicht ganz angemessen, eine kleine Bilanz dieses umstrittenen Werks und seiner Wirkung zu ziehen. Und siehe: Ganz so blutbodenmäßig, wie manche es befürchtet hatten, ist es denn doch nicht gekommen. „Democratic Gardening“ weiterlesen

Ein Mann macht dicht

SPD-Kampagne-Scholz-2011Was die Körpersprache von Olaf Scholz signalisiert

Der Lockenschopf. Das war früher das Erkennungszeichen von Olaf Scholz. Wann immer der freche Juso aus Hamburg im Bundesvorstand der Jusos oder auf ihren chaotischen Bundesdelegiertenversammlungen auftauchte, war er schnell zu erkennen an seiner charakteristisch verwuschelten Haartracht. Die irgendwie auch ein Symbol für seine politische Unberechenbarkeit war. Und für die verschlungenen Wege, die zu gehen er bereit war, um an sein politisches Ziel zu kommen. Kaum tauchte er auf, verbreitete sich rasch nervöse Unruhe im Saal. Entweder wegen der Intrigen und Bündnisse, die dann geschmiedet wurden oder schon längst geschmiedet waren. Wegen der ironischen Bemerkungen, die er um sich herum verspritze wie feinste Dosen unmerklich wirkenden Gifts. Oder wegen der Debatten, die er backstage anzettelte, während sich vorne am Rednerpult die Gralsritter der Doppelstrategie noch dabei abwechselten, graues Recyclingpapier durch den Floskelkopierer zu schieben. „Ein Mann macht dicht“ weiterlesen

Vergeßt Obama!

obama1Change. Mit diesem inspirierenden Wort zog Barack Obama 2008 in den Wahlkampf um die amerikanische Präsidentschaft. Wie Phönix aus der Asche des Bush-Regimes erstand da über Nacht ein Hoffnungsträger, wie ihn Amerika seit John F. Kennedy nicht gesehen hatte. Der Professor aus Chicago entfachte eine Volksbewegung, dass selbst hartgesottenen Beobachtern der politischen Kultur der USA die Spucke wegblieb.

Man muss an diesen simplen Tatbestand vielleicht erinnern, um zu ermessen, welcher “Wandel” sich seitdem vollzogen hat. Nicht nur in den USA inspirierte Obamas Mischung aus Kraft und Anmut, Pragmatismus und Vision, Entschiedenheit und Liberalität zu großen demokratischen Hoffnungen. „Vergeßt Obama!“ weiterlesen

Häßliche Menschen mit Hängetitten

Mann-Meer-Strand_w475_h230_cw475_ch230_thumbHabe vor ein paar Tagen die Lektüre von Fritz J. Raddatz’s Tagebüchern der Jahre 1982-2001 beendet. Der legendäre Feuilletonist der „Zeit“, ist schon ein echter Ästhet. Der Mann, der 1980 wegen eines peinlichen Goethe-Zitats über den Frankfurter Hauptbahnhof seinen Posten als Feuilletonchef der „Zeit“ räumen musste, versucht seine Existenz als Gesamtkunstwerk zu inszenieren. Der Edel-Prekarier, der immer über das mangelnde Geld klagt, frühstückt morgens im Wintergarten seiner Hamburger Wohnung von einer Tischdecke aus weißer Seide unter einem Orchideenbaum zu Mozartmusik. Auf dem Weg zu seiner Ferienwohnung auf Sylt hört er im Porsche Rachmaninoff. Und verzweifelt an alten Schulkameraden, die nicht wissen, was Avocados sind, nicht mit dem Fischbesteck essen können, noch nie eine Auster gesehen haben und den Namen Botero nicht kennen. „Häßliche Menschen mit Hängetitten“ weiterlesen

Flotter Dreier

sophie_rois_3_DW_P_1277725p“Der schönste Film des Jahres.”. „Erfrischend“. Hinreißend“. Wer in diesen Tagen Tom Tykwers Film “Drei” anschaut, wird die Charakterisierungen, die zum Jahresende so oder anders viele Feuilletons durchzog, nicht ganz falsch finden. Die Zuschauer verlassen das Kino sichtlich beschwingt. Die gezielten Schnitte, die Anlage als Laborversuch und natürlich die glanzvolle Sophie Rois in der Rolle der Kulturjournalistin Hanna heben den Film von dem betulichen Durchschnitt ab, der uns seit Jahren als “neuer deutscher Film” untergejubelt wird: sei es nun die wortkarge “Berliner Schule” oder Florian von Donnersmarcks großspurige Geschichtsfälschungen. Tykwers schon vor gut zehn Jahren in “Lola rennt” erprobte Mischung aus avancierter Ästhetik und populärem Plot verbinden sich mit dem scheinbar emanzipativen Gehalt, so der erste Eindruck, zu einem rundum positiven Kinoerlebnis. Selbst Pärchen, die das Lichtspieltheater Hand in Hand betreten, wirken danach wie gelöst. Ist das nicht wunderbar? „Flotter Dreier“ weiterlesen

Die Wahrheit ist der Demokratie zumutbar

Wikileaks und die Folgen

Hillary Clinton im Smalltalk mit Ban Ki-moon, George W. Bush herzt Angela Merkel, ein lächelnder Barack Obama trifft Hamid Karzai. Im Fernsehen und vor Kameras zeigt Politik gern ihre Schokoladenseite: Lächelnde Staatsmänner, die sich gegenseitig ihrer Wertschätzung versichern und von „my good old friend“ faseln, wenn sie insgeheim im Grunde glauben, dass ihnen gerade ein unfähiger Widerling gegenübersteht, mit dem endlich mal Tacheles geredet werden müsste. Was die Staatsschauspieler besprochen haben, geht die Regierten dann aber nichts an. In der Regel wird die Öffentlichkeit im Anschluss an solche Begegnungen mit nichtssagenden Statements oder den üblichen Floskeln abgespeist. Besonders beliebt ist der Satz, man habe „beiderseits interessierende Fragen erörtert“. Und: „Das Gespräch verlief herzlich“. „Die Wahrheit ist der Demokratie zumutbar“ weiterlesen

Der demokratische Faktor

Der Milliardär Nicolas Berggruen will erst Kalifornien und dann Amerika retten, hat aber das Wichtigste vergessen

Nicolas Berggruen ist uns äußerst sympathisch. Nicht nur, weil der smarte Sohn des Emigranten, Kunstsammlers und Mäzens Heinz Berggruen das gute alte Kaufhaus Karstadt oder das Café Moskau in Berlin gerettet hat, weil er in der Hauptstadt Gründerzeithäuser aufkauft, denkmalgetreu saniert und darauf achtet, dass sie kulturell genutzt werden; auf diese Weise hat er dem Kreuzberger Künstlerhaus Bethanien zu einer preiswerten neuen Bleibe verholfen. Sondern er ist uns generell sympathisch, weil er so kulturaffin ist, ja seinen Beruf kulturell definiert. Die Politik der Kultur und die Kultur der Politik – das scheint ausgerechnet bei diesem „Unternehmer“ in guten Händen. Endlich mal einer, der die Ökonomie unter den Primat der Kultur stellen wollte, und nicht umgekehrt. „Der demokratische Faktor“ weiterlesen