Lernen von Kassel – Auf dem Weg zur Post-Documenta Melancholie

athens biennale coverZwölf Tage Gespräche, Diskussionen und Performances. Im November 2011 erwachte das Athener Embros-Theater aus einem Dornröschenschlaf. Künstler hatten das vom Kulturministerium aufgegebene, historische Gebäude im Arbeiterviertel Psirri besetzt und reaktiviert, was seine Aufgabe war: Kunst zu zeigen, Kunst zu ermöglichen. „Lernen von Kassel – Auf dem Weg zur Post-Documenta Melancholie“ weiterlesen

Die neuen Bilder und die Herausforderung der Kunst

Bild1Ein silbernes Kaninchen auf weißem Podest in einem leeren Saal. Sanft zoomt eine unsichtbare Kamera auf die spiegelglätte Skulptur, umkreist sie beständig. Doch in der glänzenden Oberfläche des Gesichtsfeldes der Skulptur spiegelt sich nichts als der leere Raum, der ihn umgibt. Keine Reflektion, nirgends: Der Fotograf mit seiner Kamera ist nicht zu sehen. „Die neuen Bilder und die Herausforderung der Kunst“ weiterlesen

Documenta – Airlines

A320_Aegean_Airlines_2-e1457705969859 Ein schmales, silbernes Band, wie ein unruhiger Quecksilberfluss schlängelt es über ein schwarzes Quadrat, von links oben nach ganz rechts unten. Aufmerksame Beobachter der 14. Documenta haben natürlich längst gemerkt, dass die elegante, minimalistische Abstraktion, die seit kurzem deren Website ziert, keineswegs nur zauberhaftes l’art pour l’art darstellt, sondern einen Weg beschreibt: Den von Kassel nach Athen nämlich. Der Stadt, von der wir im nächsten Sommer alle „lernen“ sollen. Je länger man darauf schaut, desto mehr ähnelt sie aber auch der Fluchtroute durch den europäischen Südosten, die derzeit unbedingt abgeriegelt werden soll. „Documenta – Airlines“ weiterlesen

Langeweile ist eine Produktivkraft

boredom2Die Langeweile ist der Hauptfeind unserer Generation, weil wir damit aufgewachsen sind, verwöhnt und von Reizen überflutet. Wir sehnen uns nach der Unterbrechung der Langeweile. Wer an Hunger leidet und nicht im Adlon sitzt, langweilt sich nicht. Wir sind nichts als Produkte einer postmateriellen Generation, die nur noch mit der Langeweile zu kämpfen haben.« In der Mitte klafft ein Loch. Die Amüsiergesellschaft kennt keine Gnade. Von Aufregung geht es zu Event. »Die Sehnsucht danach, die Langeweile zu brechen« ist schwer zu befriedigen. Doch die »Mutter des Nichts« (Leopardi) schlägt garantiert zurück. „Langeweile ist eine Produktivkraft“ weiterlesen

Ästhetin an der Schnittstelle

cmacelRaymond Hains, Sophie Calle, Gabriel Orozco – wer sich auf die Suche nach der kuratorischen Handschrift der Christine Macel macht, trifft auf eine lange Liste von Schauen illustrer Gegenwarts-Künstlerinnen, aber nicht auf das ganz große Projekt. Dass muss nicht heißen, dass die französische Kunsthistorikerin eine Verlegenheitslösung für die nächste Biennale von Venedig wäre oder die Frauenquote nach oben treiben soll. Vergangenen Freitag berief der Biennale-Vorstand die Chefkuratorin des Pariser Centre Pompidou zur Kuratorin der 57. Ausgabe im Frühsommer 2017. „Ästhetin an der Schnittstelle“ weiterlesen

Kultur der Rechtlosigkeit

images Am vergangenen Sonntag kam die erlösende Nachricht. Alle inhaftierten Teilnehmer des Friedensmarsches „I am walking for Peace“ sind frei. Ende Dezember hatte sich ein Häuflein Unverzagter auf den 1500 Kilometer langen Weg von Bodrum an der Ägäis in das von türkischen Sicherheitskräften belagerte Diyarbakir im Südosten der Türkei gemacht. Darunter waren die bekannten türkischen Künstlerinnen Pinar Ögrenci und Atalay Yeni. „Kultur der Rechtlosigkeit“ weiterlesen

Jetzt wird aufgeräumt

20151101_160819„Da haben die doch dran gedreht“. Den meisten Freundinnen steht das ungläubige Entsetzen ins Gesicht geschrieben, als sie an dem milden Sonntagnachmittag an Berlins Kottbusser Tor eintrudeln und auf den wackligen Großbildschirm starren, den die Kreuzberger HDP vor dem Südblock aufgestellt hat. „50 Prozent für diese Verbrecher, die HDP hat in Istanbul bloß neun, ich fasse es nicht“ zischt Özlem mit versteinertem Gesicht. „Jetzt wird aufgeräumt“ weiterlesen

Staatsoper der Berliner Republik

Kunst-Opening-785x360Wann, Entschuldigung, kommt ein Mythos eigentlich in die Jahre? Die Frage klingt widersinnig. Mythen sind bekanntlich unsterblich. Aber irgendwie ist der Techno-Tempel Berghain ja schon ein solcher. Für den Philosophen Ernst Cassirer kreiert der Mythos den „Augenblicksgott“, zielt auf die „Solidarität mit allem Lebendigem“. Und, Hand auf’s Tattoo, welche Definitionen könnten die Gefühle besser beschreiben, die jeden durchfahren, der die Selektion zum „besten Club der Welt“ übersteht: Verzückung, Glück, Hysterie. „Staatsoper der Berliner Republik“ weiterlesen

Kunst und Politik: Schönheit ist auch nicht mehr, was sie mal war

Kunst ist politisch, oder sie ist gar nicht. Mit dem Motto für die 7. Berlin-Biennale erlebte Artur Żmijewski eine ziemliche Bauchlandung. Die politaktivistische Gerümpelkammer, die der Künstlerkurator 2012 in den Kunst-Werken öffnete, diskreditierte die »politische Kunst« so wirkungsvoll, wie es keine rechte Diffamierung vermocht hätte. Doch wie hätte eine solche Kunst auszusehen, wenn man sie nicht auf dem Müllhaufen der Geschichte entsorgen will?

Dass nicht das Politische, sondern das Ästhetische politisch ist – diese, seit einiger Zeit wieder an Zulauf gewinnende, Gegenposition hatte der französische Philosoph Jacques Ranciere schon Mitte der 2000er Jahre ventiliert. Auf dem Kongress »Politik der Kunst.

Über die Möglichkeiten, das Ästhetische politisch zu denken«, der von der Akademie der Künste und dem Goethe-Institut kürzlich in Berlin veranstaltet wurde, fand sein Ansatz freilich nicht viele Anhänger.

Denn die dem Kunstwerk eignende »Unbestimmtheit«, die für Ranciere erst den Betrachter zum politischen Handeln motiviert, negiert für die Wiener Kunsthistorikerin Ines Kleesattel die »Wahrheit« jeden Werks. Zu bestimmt sollte es aber auch nicht sein.

Der linken Intelligenz schwant nämlich, dass die vielbeschworene »Relevanz der Kunst« anders aussehen muss als in der klassischen Politästhetik. »Wir steckten in der Sackgasse der politischen Eindeutigkeit«, resümierte die Filmemacherin und frisch gewählte Akademiepräsidentin, Jeanine Meerapfel, Jahrgang 1943, selbstkritisch die Kunstproduktion der 70er Jahre.

Die Künstler als »Partisanen der Sinnlichkeit« den Ausweg aus dieser Sackgasse suchen zu lassen, wie es der Philosoph Christoph Bermes empfahl, klang vielen zu militärisch. Zurück zur guten alten »Autonomie der Kunst« geht es auch nicht.

Die Frankfurter Kunstprofessorin Isabelle Graw erinnerte daran, dass sich dieses Credo als kompatibel mit dem »Neuen Geist des Kapitalismus« erwiesen hat. Selbst Präsidentin Meerapfel winkte ab: »Autonomie existiert nicht«, konstatierte sie das Netz ihrer Abhängigkeiten – von der Genrewahl über die Geldgeber bis zu den Mitarbeitern.

Auch der schillernde Begriff »Schönheit« führt in diverse Schieflagen. Zur ubiquitären Ressource des Alltags geworden, verliert sie ihr subversives Potenzial. Und wie in einen neomystischen Tonfall zurückfallen kann, wer sie rehabilitieren will, demonstrierte der Philosoph Christoph Menke, als er dem Kunstwerk eine außerökonomische »Kraft« zubilligen wollte, mit der es »Macht über uns« habe.

Ob nun das »Gramsci-Monument«, das der Schweizer Künstler Thomas Hirschhorn 2013 in New York errichtete, den »Dritten Weg« zwischen dem Edelgrau des zeitgenössischen Biennale-Seminarismus, Partizipationsfolklore und dem obsolet gewordenen »Schönen« aus Rilkes Duineser Elegien weisen könnte, wie es Christoph Bartmann behauptete, der Leiter des dortigen Goethe-Instituts, war umstritten in Berlin.

Die ewige Diskussion wird weitergehen. Aber vielleicht lässt sich Schönheit immer nur dialektisch verstehen. Und es braucht, um »das Ästhetische politisch zu denken«, einfach einen neuen Punk.