Antisemitisch? Israelfeindlich? Der Krach beim Pen-Berlin um Ernst Piper und Eva Menasse offenbart eine Strukturschwäche des öffentlichen Diskurses um den Gaza-Krieg und die Folgen

Wie bekämpft man den Antisemitismus nach den Mordaktionen des 7. Oktober? Gewiss nicht so wie der immer schärfere Kulturkampf, der seitdem tobt. So manche suchen da ihr Heil in gestanzten Bekenntnissen und ideologischen Schablonen.

Diese Flucht in martialisch vorgetragene Leerformeln gilt für die Weigerung der US-Philosophieprofessorin Judith Butler, den Terror der Hamas punktuell zu verurteilen. Ihr Buzzword war die Pflicht zu dessen – wie sie sagte – „Kontextualisierung“.

Die Flucht in martialisch vorgetragene Leerformeln gilt aber auch für den Ruf in Deutschland, die Staatsbürgerschaft nur noch gegen ein Bekenntnis zum Staat Israel zu verleihen, dieses Bekenntnis als „Staatsräson“ gar im Grundgesetz zu verankern. Und die Neigung, jede Kritik an Israel als antiisraelischen Hass zu schmähen.

Zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung gehört freilich nicht nur die Absage an den Antisemitismus, sondern auch das Recht auf freie Meinungsäußerung. Selbst der Aufruf zum Boykott, das urteilten Deutschlands oberste Richter mehrmals, kann durch dieses Recht gedeckt sein.

Wenn die saarländische Kulturministerin meint, sie könne die Absage einer Ausstellung der südafrikanischen, jüdischen Künstlerin Candice Breitz durch das Saarland-Museum rechtfertigen, weil sie sich – was nicht stimmt – nicht genügend von der Hamas abgegrenzt und Israel zum Waffenstillstand aufgerufen habe, läuft das auf einen gefährlich verengten Diskurs hinaus.

Ungefähr wie zu den Zeiten des RAF-Terrors, wo nur die leiseste Gesellschaftskritik mit einer Distanzierung von Baader, Meinhof&Co eingeleitet werden musste.

Diesem Reflex folgt auch die Entscheidung des Autors Ernst Piper, den Pen Berlin zu verlassen. Die Warnung seiner Pen-Kollegin, der Philosophin Susan Neiman, ebenfalls Jüdin, vor einem „verordneten Philosemitismus“, mag zugespitzt sein.

Israelfeindlich ist sie genauso wenig wie der Einwurf seiner Pen-Kollegin, der Schriftstellerin Eva Menasse, zwischen der politischen und der ästhetischen Haltung der Autorin Sharon Dodua Otoo zu differenzieren, die vor acht Jahren eine Petition zum Boykott Israels unterschrieben hatte.

Der israelische Historiker und Philosoph Moshe Zuckermann kritisierte einst die Politik seines Heimatlandes gegenüber den Palästinensern als „Barbarei eines illegalen Okkupationsregimes“. Heute müsste der Sohn polnisch-jüdischer Holocaust-Überlebender damit rechnen, dass sein nächster Vortrag in Deutschland abgesagt wird, wenn jemand dieses Zitat entdeckt.

Generalverdacht, Ende der Debatte, Cancel Culture. In diesen Reflexen offenbart sich genau derselbe Rückzug in die hermetischen Lager wie bei dem Streit um die documenta fifteen – hier die Freunde des Globalen Südens, da die unerbittlichen Anti-Antisemit:innen.

Bei allem Verständnis für die Kritik an der bestürzenden Kälte und Distanz vieler Intellektueller in der ganzen Welt angesichts der israelischen Opfer des Terrorangriffs der Hamas vom 7. Oktober.

In der Hitze der jetzigen Debatte droht das berechtigte Beharren auf einer Abgrenzung von derem Terrorismus und auf dem Existenzrecht Israels in ein sinnentleertes Ritual umzuschlagen: das blinde Schwingen der Antisemitismus-Keule und einen proisraelischen Bekenntniszwang.

Der Streitkultur und dem leider wohl nie endenden Kampf gegen das zivilisatorische Grundübel Antisemitismus ist mit derlei rhetorischen Automatismen aber wenig gedient. Sondern nur mit einer offenen Debatte ohne Tabus. Wo, wenn nicht in der Kultur sollte sie geführt werden.

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