Business as usual im Kunstbetrieb? Wie soll es nach der documenta fifteen mit Biennalen und Großausstellungen weitergehen?

„Nach der documenta ist vor der documenta“. Christian Geselle, Kassels immer etwas hemdsärmeliger Oberbürgermeister, gab sich salopp, als er Ende September offiziell die documenta fifteen beschloss und zugleich den Termin für die 16. Ausgabe der Schau im Juni 2027 bekanntgab.

Natürlich musste er beizeiten jeden Zweifel zerstreuen, dass es mit der documenta aus sei, wie es während der umstrittenen Schau immer wieder ultimativ gefordert worden war. Was wäre Kassel ohne die Cashcow und unerschöpfliche Quelle symbolischen Kapitals, documenta?

Doch ist das business as usual-Zeichen, das der SPD-Politiker damit gab, das richtige Signal für die Zukunft? Noch ist der Schock, der Kassel selbst für die Fans der d15 bedeutete, nicht verdaut, da legt sich die Szene schon in die nächsten Schleifen des Kunstloops von Bangkok bis Riga – the show must schließlich go on.

Dabei könnte der Kunstbetrieb eine kurze Pause für eine Debatte gut vertragen: Zum Beispiel über das Ethos des Kuratierens. Gesprächsbedarf sehen auch die Anhänger:innen des dezentralen, antiautoritären, kollektiven, fast möchte man sagen: besinnungslosen Ansatz des Ausstellungsmachens a la ruangrupa.

Oder die „Decolonize“-Fraktion, die doch zweifelte, ob die Schockästhetik, mit der Kader Attia den Ahnungslosen seine kolonialismuskritische Lektion bei der 12. Berlin-Biennale ins Hirn hämmern wollte, nicht das genaue Gegenteil bewirkt. Diese Debatte ist umso angezeigter, weil das Kunstjahr 2022 eine markante Zweiteilung des Kunstbetriebs offenbart hat.

Die documenta fifteen, aber auch ihre Miniatur-Version in Gestalt der 17. Istanbul-Biennale haben, sieht man einmal von den antisemitischen Kollateralschäden in Kassel ab, eine „postautonome Kunst“ (Wolfgang Ullrich) nobilitiert, die zwar schon länger en vogue ist, in dieser Massivität aber bislang noch nicht auftrat beziehungsweise derart prominent vorgestellt wurde.

Das alte adornitische Ideal der Kunst, die ihren Kontext und ihr Material auratisch übersteigt, spielt bei den Kollektiven und Verbünden, die dort reüssierten, kaum noch eine Rolle. Eine „Entkunstung“ (Harald Kimpel) bedeutet das aber noch nicht.

Vielmehr markiert das eine Epoche, die als sozial engagierte Hybridästhetik in die Kunstgeschichte eingehen könnte. Werner Schmalenbachs sturköpfige Weigerung seinerzeit, Joseph Beuys, dem Ahnherrn dieser Richtung, in die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen einziehen zu lassen, hat sich bekanntlich als ähnlicher Irrtum erwiesen.

Die Kollektive, die seine soziale Plastik nun vollenden, sind nicht so sehr das Problem. Sie als Untergang des Abendlandes der Kunst zu dämonisieren, wie Bazon Brock in seiner hanebüchenen Philippika gegen die d15, geht selbst an der europäischen Kunstgeschichte meilenweit vorbei.

Ihre Spur zieht sich von Friedrich Schleiermachers „Bund von Freunden“ über die Nazarener in Rom, von Dada bis zu den Guerilla Girls. Und das Geburtsrecht der Freiheit der Kunst für die europäische Aufklärung kann nur reklamieren, wer sich noch nie der Kunst und Kultur des Globalen Südens befasst hat.

Das Problem ist, wie und ob (ästhetische) Kollektive ihr Handeln transparent machen. Das Mandat für Wohlfahrt, Emanzipation und Aufklärung, welches sie für sich beanspruchen, entbindet sie nicht von der Rechenschaftspflicht gegenüber der Öffentlichkeit. Wie dem nachzukommen wäre, wird noch zu diskutieren sein.

Schon um einen Rückfall ins Autoritäre zu verhindern, der auch hinter den Rufen nach einem Durchgreifen der Politik lauert. Und nach dem endgültigen Bericht der documenta-„Expert:innenkommision“ wieder zu hören sein wird.

Doch dieser Ansatz steht nun ziemlich beziehungslos neben dem des klassischen Ausstellungsmachens, wie ihn auch Cecilia Alemani mit „The Milk of Dreams“ in Venedig oder Tim Fellrath und Sam Bardaouil mit ihrem „manifesto of fragility“ in Lyon zelebrierten.

In beiden Fällen agierten noch die allwissenden Kurator:innen, die die Dinge ordnen, die Narrative konstruieren und das ganz große Rad der opulenten Mega-Schau drehen. Es hat etwas folgenlos Rhetorisches, an eine Gesamtheit zu appellieren, die bei näherer Betrachtung in unzählige Partikel zerfällt.

Dennoch sollte dieses Schisma, selbst wenn es kurzfristig kaum aufzulösen ist, „der Kunstwelt“ (die es so homogen nicht gibt) eine leidenschaftliche Debatte auch darüber wert sein, was und ob diese beiden Sphären noch etwas verbindet. Der nächsten documenta, auf die sich Christan Geselle schon so freut, kann das nur nutzen.

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