Langeweile ist eine Produktivkraft

boredom2Die Langeweile ist der Hauptfeind unserer Generation, weil wir damit aufgewachsen sind, verwöhnt und von Reizen überflutet. Wir sehnen uns nach der Unterbrechung der Langeweile. Wer an Hunger leidet und nicht im Adlon sitzt, langweilt sich nicht. Wir sind nichts als Produkte einer postmateriellen Generation, die nur noch mit der Langeweile zu kämpfen haben.« In der Mitte klafft ein Loch. Die Amüsiergesellschaft kennt keine Gnade. Von Aufregung geht es zu Event. »Die Sehnsucht danach, die Langeweile zu brechen« ist schwer zu befriedigen. Doch die »Mutter des Nichts« (Leopardi) schlägt garantiert zurück.

So wie Alexander von Schönburg vom Popkulturellen Quintett in Tristesse Royal auf die Langeweile reagiert, ist das ein typischer Fall für das »ungestillte Verlangen nach erregenden Momenten«, mit dem der Mensch nach Bertrand Russell das aufkommende Gefühl der Nichtigkeit des Daseins unterdrücken und die Zeit totschlagen will. Und damit nur zeigt, dass er nicht wirklich glücklich ist. Weil er sich selbst nicht genießen kann.

Auch so gesehen bieten die schnöseligen Newcomer des literarischen Pop wenig Neues. Langeweile gab es schon immer. Auch wenn sie in letzter Zeit wieder häufiger quält: »Basteln könnte ein Weg sein. Aber in Wahrheit kann nichts die immer häufigere Wiederkehr jener Augenblicke verhindern, in denen ihre absolute Einsamkeit, das Gefühl einer universellen Leere und die Ahnung, dass Ihre Existenz auf ein schmerzhaftes und endgültiges Desaster zuläuft, Sie in einen Zustand echten Leidens stürzen« schreibt Michel Houellebecq in seinem ersten Bericht „Ausweitung der Kampfzone“ aus dem Herzen der globalisierten Beziehungslosigkeit.

Die Faktizität des nackten Daseins, die in der Langeweile überraschend vor einem steht, lässt sich natürlich oft nur schwer aushalten. Wo die Popper immer neue Konsum-Reize brauchen, wollen andere gar nichts mehr wollen. »Eine Zeit, die ausgefüllt, besiegt, zunichte gemacht werden musste« denkt sich Koberling, einer der Helden aus Judith Hermanns Erzählband „Sommerhaus, später“, einem anderen Dokument zeitgenössischer Langeweile, in dem die jugendlichen Helden von heute in einem Schwebezustand zwischen Lethargie und Unruhe verharren.

Der Boom der Bücher über Langeweile oder ihre Philosophie ist nicht nur ein Indiz dafür, dass die »weichen«, von den gesellschaftlichen Großtheorien vernachlässigten Themen plötzlich in den Vordergrund drängen. Warum die Langeweile offenbar gerade mal wieder grosse Ausmasse annimmt, können auch sie nicht so recht erklären. Doch man kann aus ihrer Lektüre so etwas wie ein dialektisches Lebensprinzip destillieren. Für das Sören Kierkegaard das schöne Wort von der »Wechselwirtschaft« gefunden hat.

Langeweile muss nicht der Teufel bleiben, der dich mitnimmt, wie der Schweizer Chansonnier Michael von der Heide einmal in seinem Song „l`ennui“ den Mittagsdämon melancholisch verklärt. Man kann sie, wie Franz Hessel, positiv wenden. Sein zielloses Flanieren in der Stadt gleicht haargenau jenem »Verweilen« in der Gestalt des ästhetischen Anschauens, mit dem der Philosoph Michael Theunissen ein Mittel bewusster Entschleunigung, mithin Befreiung vom Zeitdiktat erblickt.

Und genau wie es kein absolutes Glück gibt und der Schmerz, nach Kant, immer wieder der Stachel bleibt, ihn zu überwinden, ist auch die Langeweile ein Ausschlag in der Pendelbewegung, in der man leben soll. »Müßiggang ist der Feind der Seele« soll Bernhard von Clairvaux mal gesagt haben. Aber mit ora et labora wird oft genug nur ein blindes Tätigsein verabsolutiert. Jeder, der schon mal an diesen grässlichen Sonntagnachmittagen oder Weihnachtsfeiertagen müssig auf der Couch gelegen hat, weiß, wie beflügelnd es sein kann, sich zu langweilen.

Der Wille, das zu überwinden, weckt überhaupt erst die Kreativität. Und die Freuden der Erwartung. Und womöglich ein Stück Freiheit. Langweile provoziert nämlich Heideggers sich-entschließen, mithin die Fähigkeit, die »hingehaltene Ermöglichung« des Menschen im Gebanntsein der Langeweile zu überwinden. So lernt man sie als das zu schätzen, was sie ist: eine Produktivkraft.

Schreibe einen Kommentar