Streit um neuen documenta-Aufsichtsrat in Kassel

„Es muss geklärt werden, ob wir den Aufsichtsrat überhaupt noch brauchen.“ So ließ sich Kassels Oberbürgermeister Christian Geselle noch im Frühjahr 2018 vernehmen. Nach dem angeblichen Finanzskandal nach Abschluss der documenta 14 mit Standorten in Kassel und Athen war nicht nur der SPD-Politiker unzufrieden mit der Arbeit des Aufsichtsgremiums der 1955 gegründeten Weltkunstausstellung.

Ganz abschaffen will Geselle das Gremium offenbar nicht mehr. Aber der Weg zu einer effektiven Umgestaltung erweist sich als schwierig. Sein vor kurzem, zusammen mit dem Land Hessen ausgehandelter Entwurf zur Verkleinerung des Gremiums stößt auf Widerstand in der Kasseler Kommunalpolitik. Der Entwurf sieht einen, von 13 auf neun Köpfe reduzierten Aufsichtsrat vor.

Bislang gehören ihm neben Vertretern der Stadt, des Landes und der Kulturstiftung des Bundes auch vier Stadtverordnete an. Nun sollte er nur noch aus drei Mitgliedern der Stadt (Oberbürgermeister plus zwei weitere) und drei Mitgliedern des Landes (Kunstministerin plus zwei weitere) sowie aus drei unabhängigen Sachverständigen bestehen.

Der Bund, der bislang durch zwei Vertreter der Bundeskulturstiftung repräsentiert war, die die documenta finanziell unterstützt, wäre dann nicht mehr repräsentiert gewesen. Hortensia Völckers, die Künstlerische Leiterin der Stiftung und ihr mittlerweile pensionierter Vorstands-Kollege Alexander Farenholtz hatten das Gremium 2018 wegen der Art und Weise, mit der OB Geselle den Streit um die Finanzlücke der documenta 14 eskaliert hatte, verlassen.

Oberbürgermeister Geselle beruft sich bei seinem Entwurf auf den „Public Corporate Governance Kodex“ (PCGK) des Landes Hessen, an dessen Regelungen sich der documenta-Gesellschaftsvertrag anlehne. Der Kodex stelle für das Land Regeln und Handlungsempfehlungen für die Steuerung, Leitung und Überwachung von Unternehmen dar, an denen es beteiligt sei. Konkrete Vorgaben für die Größe und personelle Zusammensetzung der Gremien gibt der Kodex freilich nicht her.

Unwillen hatte unter Beobachtern die Tatsache des stromlinienförmig auf den Ob zugeschnittenen Gremiums erregt. Die Kasseler Parlamentarierinnen hatte nicht nur die Tatsache erregt, dass ihre Anzahl in dem neuen Aufsichtsrat dezimiert worden wäre. Was auch die Verankerung der documenta im politischen Raum geschmälert hätte.

Sondern dass die unabhängigen Sachverständigen auf Vorschlag von Beiräten des documenta-Instituts sowie der documenta-Geschäftsführung „aus sachnahen Gebieten mit nationaler Reputation“ gewählt werden sollten. Internationale Reputation kam offenbar nicht in Betracht.

Der Streit um den Aufsichtsrat ist ein weiterer Beleg für die holprigen Versuche zur Neuaufstellung des Komplexes documenta in der nordhessischen Metropole.

Erst kürzlich kippte die Stadtverordnetenversammlung nach Bürgerprotesten den Plan für einen Neubau des künftigen documenta-Instituts am Kasseler Karlsplatz Ein neuer Bauplatz ist noch nicht in Sicht.

Derweil kämpft auch die von dem indonesischen Kuratorenteam Ruangrupa kuratierte 15. Ausgabe der documenta angesichts der Corona-Pandemie mit Problemen. Reisen und Atelierbesuche können kaum stattfinden.

Eine Verschiebung der für Juni 2022 geplanten Schau in das Jahr 2023 schloss documenta-Generaldirektorin Sabine Schormann dieser Tage in einem Interview aus. Deutete aber eine partielle Verlegung des Kunstgeschehens ins Digitale an.

Ob sich damit die jetzige Finanzplanung für die documenta aufrecht erhalten lässt, die wesentlich auf Einnahmen durch Tickets von vor Ort präsenten Besucher:innen basiert, steht in den Sternen. Um neuerlichen Finanzturbulenzen rechtzeitig vorzubeugen, könnte hier ein neuer Aufsichtsrat seinem Namen einmal gerecht werden.

Schreibe einen Kommentar