Erfolgreiche Posthumane: Carolyn Christov-Bakargiev am Museo di Tivoli

Wahlrecht für Hunde und Erdbeeren. Erinnert sich noch jemand an Carolyn Christov-Bakargiev? Als die Kunsthistorikerin vor ziemlich genau zehn Jahren auf der documenta 13 in Kassel die Idee einer Kunst jenseits des Menschen promotete, versetzte sie die Kunstfreunde wahlweise in Weißglut oder in Entzücken. Wie unbeirrbar sie am Topos des Posthumanen festhält, ließ sich vor kurzem in Turin erneut in Augenschein nehmen.

2015, drei Jahre nach ihrem Abgang aus Kassel, war die Frau, die auf der jährlichen Liste der einhundert einflussreichsten Persönlichkeiten der Kunstwelt regelmäßig auf einer der vorderen Plätze rangiert, zur Direktorin des dortigen Castello Rivoli ernannt worden, dem 1984 unter der Ägide von Rudi Fuchs wiedereröffneten, ältesten Kunstmuseum Italiens.

Dem royalen Prachtgemäuer, das die größte Sammlung der Arte Povera besitzt, verschaffte sie mit ihrem Prestige und der Crème de la Crème der kritischen internationalen Kunstszene enormen Auftrieb. Think Big war immer das Motto der streitbaren Intellektuellen, die schon die Biennalen in Sydney, Kassel und Istanbul kuratiert hat.

Auch „Espressioni con frazioni“, ihrer jüngsten Schau im Rivoli ist anzumerken, dass Bakargiev gleichsam von Natur aus in Biennale-Dimensionen denkt und arbeitet: Von William Kentridge über Anna Boghighuian bis zu Julie Mehretu reicht der Parcours, der keiner kleineren Frage nachgeht wie der, wie sich die menschlichen Ausdrucksformen seit Beginn der menschlichen Geschichte geändert haben – ein kolossaler Parforceritt durch mehrere hundert Jahre Kunstgeschichte.

Dass sie als Clou der Schau auch „Beeple“ alias Mike Winkelmann eingeladen hat, den amerikanischen Digitalkünstler, Grafiker und Informatiker aus South Carolina, der seit der Versteigerung seines NFT-Werks „Everydays: The first 5000 days“ für 69,3 Millionen Dollar bei Christies im Frühjahr 2021 zum neuen Mega-Star der Kunstszene aufgestiegen ist, ist nicht nur mit dem derzeit bei vielen italienischen Kunstmuseen zu beobachtenden Trend geschuldet, ihre Attraktivität mit Ausstellungen zu dem neuen Fetisch zu steigern.

Beeple markiert vor allem einen weiteren Schritt in Richtung Posthumane. In „Human One“, seiner kinetische Videoskulptur für das Rivoli wandert ein Astronaut unaufhörlich durch eine sich ständig verändernde Landschaft. Per Blockchain hat der Künstler das Werk, eine Weltpremiere, so programmiert, dass kein Moment dieses Loops dem anderen gleicht. „Der erste Mensch im Metaverse“ jubelte Bakargiev zur Eröffnung.

Die Kunstpionierin hat ihrem Haus nicht nur eine soziale Öffnung verordnet: Zu Beginn der Pandemie funktionierte sie es zum Impfzentrum um, machte es zum Safe Space für Künstler:innen aus Afghanistan, denen sie mit Hilfe der italienischen Regierung zur Flucht aus dem Land nach dem Abzug der Amerikaner verhalf.

Mit Beeples spektakulärem Werk dürfte die innovationsfreudige Königin der Biennalen mit Hang zur Philosophie ihrem jüngsten Wunsch einen Schritt näher gekommen zu sein, als erste ein „Museum der Nichtmenschlichen Kultur“ zu kreieren.

Selbst wenn CCB, wie die Anhänger der starken Kuratorin Bakargiev gern nennen, eines Tages nicht mehr als solche arbeiten wird, bleibt ihr Lieblingsthema in der Familie.

Ihre Tochter Lucia Pietroiusti, Gründerin des „General Ecology Project“ an der Londoner Serpentine-Gallery, hat (zusammen mit Filipa Ramos) gerade mit Bravour die 8. Gherdëina-Biennale im Südtiroler St. Anton kuratiert, die sich unter dem Titel „Persones – Persons“ den Persönlichkeitsrechten von Bäumen, Seen, Steinen und Fischen widmet.

Schreibe einen Kommentar