Kunst und Pandemie: Meret Oppenheims „Handschuhe“

Mein Kunstwerk der Stunde ist ein Objekt: Es sind die zwei Handschuhe, die Meret Oppenheim 1985 als Edition von 150 Exemplaren schuf: Zwei nebeneinander liegende Handschuhe aus grauem Ziegenleder. Auf deren Rücken sind ganz fein in rotem Siebdruck die Adern ihrer eigenen Hände aufgebracht.

Die Arbeit ist nicht so bekannt wie die Kaffeetasse, die sie 1936 mit Pelz überzog. Sie demonstriert aber einmal mehr, wie Oppenheim das Leblose zu animieren, rätselhaft aufzuladen versteht. An die Schutzhandschuhe, mit denen wir uns heute vor einer Ansteckung mit dem Corona-Virus zu schützen versuchen, hatte sie vor 35 Jahren natürlich nicht gedacht. Jetzt wirken sie wie Symbolbilder für die Kontaktpanik in der Pandemie.

Der Surrealismus solle die Menschen umhüllen „wie ein Handschuh die Hand“ schrieb einst der Großmeister André Breton. Auch mit ihrer Arbeit führt Oppenheim ins Reich des Unterbewussten, als sie das Innere nach außen kehrt, den verletzlichen Körper aus Fleisch und Blut hervorholt, den keine Schutzhülle vergessen machen kann.

Handschuhe sind ein Symbol des Schutzes. Die roten Linien auf der Arbeit lesen sich aber auch wie das Kapillarsystem der Infektionen, das inzwischen die ganze Welt durchzieht. Vielleicht war es kein Zufall, dass die Künstlerin die Arbeit im Jahr ihres Todes geschaffen hat. Für mich zeigen Meret Oppenheims Handschuhe die offenen Adern der Zivilisation.

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