Liebe, Sex und Tod. Über den Kurator Frank Wagner (1958-2016)

csm_530c901ae1944_36ba7bd1daIn einem ihrer berühmten Projekte hat die neue Gesellschaft für Bildende Kunst – nGbK – vor ein paar Jahren eine Arbeits-Gruppe namens „Wissensspeicher“ eingerichtet. Normalerweise würde man „Archiv“ zu so etwas sagen. Aber mit der wenig attraktiven Vokabel assoziiert man so langweilige Sachen wie das Sammeln und Ablegen von Informationen. Wissensspeicher klingt lebendiger. Mit dem Wort Wissensspeicher sollte angezeigt, dass es nicht nur um das Horten verstaubter Geschichtsdaten ging, sondern um lebendiges Wissen, darum, ein Potential für die Zukunft zu erschließen.

Oft habe ich gedacht: Wozu brauchen wir das eigentlich. Wir haben ja Frank. Frank Wagner war für die ngbk nämlich so etwas wie ein Wissensspeicher, eine Art kollektives Gedächtnis. Denn wenn sich der jeweilige, neu eingesetzte Koordinierungsausschuss des Vereins nach den Jahreshauptversammlungen konstituierte, die das neue Jahresprogramm verabschiedet hatten, wenn sich die oft unerfahrenen Neulinge in diesem, im Kreis der deutschen Kunstvereine einmaligen, kollektiven Direktorium verlegen ansahen, wenn sie aufgeregt über Ausstellungspläne, Budgets, Kooperationspartner, Termine und Drittmittel stritten, griff Frank seelenruhig in die Geschichte zurück. Er zitierte Präzedenzfälle, nannte Namen, machte Vorschläge, erinnerte an Beschlüsse, an Ausstellungen die keiner mehr kannte. Anders gesagt: Er aktivierte Wissen.

Kein Wunder. Frank gehörte der nGbK seit fast vierzig Jahren an. Am 10. Oktober 1979, wir haben das noch einmal nachgeschaut, ist er in unseren Kunstverein eingetreten. Kaum eines unserer Mitglieder ist in der schnell wechselnden Szenerie der nGbK so lange an vorderster Projektfront so aktiv und präsent geblieben wie Frank.

Kaum einer wusste wie er über jede Marginalie der Vereinsgeschichte Bescheid wie er. Kaum eine Sitzung, ein Beratungswochenende, auf dem seine, die nGbK-Durchschnittshöhe um gut einen Kopf überragende Gestalt, nicht anwesend war.

Womöglich war es diese Vogelperspektive, die es ihm ermöglichte, die Dinge mit der heiteren und charmanten Gelassenheit zu nehmen, die so viele an ihm rühmten– trotz der Existenzängste, die sein Leben durchzogen. Wenn es neben der vielgerühmten Basisdemokratie und der gesellschaftskritischen Kunst noch einen roten Faden in unserem Kunst-Verein gab, dann Frank Wagner.

Unser Verein hat es nicht so mit Direktoren, Opinion-Leadern und sonstigen Anführern. Aber in gewissem Sinne war Frank Wagner die in der Satzung nicht vorgesehene Stimme der nGbK. Auch wenn er kein anderes Amt inne hatte als das eines Gruppenmitglieds des berühmten „Realismus-Studios“.

Einfach, weil er so lange dabei war, die Sache, also die Kunst ernst nahm, sich selbst nicht überhöhte, auf den Prozeduren beharrte, ohne Vereinsmeier zu sein, war er eine sehr gewichtige Stimme der nGbK. Und deshalb war das Entsetzen groß, als wir von seinem plötzlichen Tod hörten. Der Gedanke, dass in der nächsten KoA-Sitzung die vertraute Stimme nicht mehr zu hören sein würde, unaufgeregt und genau, hartnäckig aber geduldig, war einigermaßen unvorstellbar.

In unserem ziemlich autoritätskritischen Laden hatte Frank den raren Bonus einer natürlichen Autorität, in der Sache wie im Habitus. Das hatte etwas mit dem langen Atem zu tun, mit dem er eine Mission verfolgte, die nicht unbedingt reich und berühmt machte. Und damit, wie konsequent er seine Themen verfolgte.

Das politische und gesellschaftskritische Interesse, das seine ganze Arbeit durchzog, lässt sich schon an der ersten größeren Ausstellung ablesen, an der Frank beteiligt war. Das neu eingerichtete Archiv der nGbK, unser digitaler „Wissensspeicher“, nennt die Schau „Inszenierung der Macht – Ästhetische Faszination im Faschismus“ im Jahr 1987.

Mit seinen Ausstellungen wie „Vollbild AIDS“ von 1988 oder „Getting to KNOw you“ 1993 in den Kunst-Werken, „Sie nennen es Liebe“ 1993 im Kunsthaus Bethanien, wurde er zu einer Art Trendsetter von Gender- und LGBT-Themen als es diese Kürzel noch nicht gab. Der Schriftsteller Thomas Meinecke bedankte sich noch vor ein paar Tagen öffentlich dafür, dass er bei Franks Schau „Das achte Feld. Geschlechter, Leben und Begehren in der Kunst seit 1960“ im Museum Ludwig 2006 beteiligt war.

Die Liste von Franks wegweisenden Themenausstellungen ist lang: „Einfach anders“ im Amsterdamer Cobra-Museum 2008, zuletzt die dreiteilige Ausstellungsserie „Love Aids, Riot Sex“ zu Aids und Aktivismus 2013/14. Der rote FadenKörper, Sexualität, Liebe zeigte sich schon bei Barbra Krugers Kunstaktion zur Fristenlösung im Berliner Stadtraum, bei „Dein Körper ist ein Schlachtfeld“ 1991 in Berlin, aber auch bei legendären Solo-Schauen wie der des jungen amerikanischen Fotografen Mark Morrisroe 1997, Valie Export 2003, oder Felix Gonzalez-Torres.

Man darf all das getrost als persönliche Agenda eines schwulen Kurators lesen. Man sollte aber nicht unterschätzen, wie stark solche Ausstellungen eine progressive Öffentlichkeit bilden half, die heute wieder unter populistischem Beschuss ist.

Frank war auch dann eine Art Aushängeschild der nGbK, wenn die Ausstellungen, die er kuratierte, für ganz andere Auftraggeber oder Kontexte entstanden: der Monat der Fotografie Ende 2014 im Berliner Martin-Gropius-Bau, der Beitrag zu einer Ausstellung von Werken Wolfgang Joops in Rostock 2009, die Ausstellung über utopische Konzepte in der zeitgenössischen Kunst im Haus der Kulturen der Welt 1994/1995 oder in Riga.

Eine Freundin erzählte mir noch vor ein paar Tagen beglückt, mit welcher Hingabe, aber auch Klarheit er sein Konzept als Kurator des deutschen Pavillons auf der Foto-Ausstellung im Frühjahr 2016 in Dubai zu erklären wusste.

Bei dieser Ausstellungs-Vita war es kein Wunder, dass Frank schon ein Netzwerk hatte, als dieses Wort noch nicht zum Codewort des Kunstdiskurses und zum Überlebensmittel des Kunstbetriebs avanciert war. Und dieses Portfolio trug er nicht wie eine Ikone vor sich her, die signalisieren sollte, dass er dazugehört und up to date ist.

Er hatte es einfach und benutzte es – im Sinne der Kunst. Und jede Sitzung mit Frank war, bei allen Auseinandersetzungen – um im Jargon zu bleiben – eine Art Wissenstransfer. Denn seine gesammelte Erfahrung nutzte er nicht als Macht- und Herrschaftstechnik, sondern ließe alle bereitwillig daran teilhaben.

So ist Frank, neben einigen anderen, eine Art „missing link“ zwischen der Vereinsgeschichte und der beschleunigten Gegenwart geworden. Er hat so etwas wie eine Dialektik zwischen lang- und kurzfristiger Arbeit in der nGbK gesorgt, war so etwas wie ein ruhender Pol inmitten der politischen und ästhetischen Zentrifugalkräfte, die sich in einem progressiven Verein nun mal so sammeln.

Wie wenig der Name „Realismus-Studio“, der Name der ständigen Arbeitsgruppe der nGbK, die sozusagen seine Homebase war, mit irgendeinem überholten Stilbegriff zu tun hatte, konnte man in der Ausstellung Toni-Schmale sehen, die die Gruppe Ende letzten Jahres eröffnete.

Mit Einzelschauen wie dieser setzten Frank und seine MitstreiterInnen einen Kontrapunkt zu den meist politisch angelegten Gruppenschauen oder Workshops, die sich zum Kennzeichen des Vereins entwickelt haben.

Die Sonderstellung, die Frank in der nGbK einnahm, hat der Verein vor allem wegen seiner uneitlen, besonnenen und zugewandten Art getragen. Er war kein smarter Alles-Könner, obwohl ihm nur wenig nicht gelang, er war kein gehetzter Jet-Setter, obwohl er viel unterwegs war, er war auch kein Jargon-Jongleur, obwohl im Diskurs zu Hause.

Ihn trieb eine fast altmodische Liebe zur Kunst. Jeder heute hier war mindestens einmal Zeuge eines dieser Momente, in denen Frank mit ausufernderr, fast kindlicher Begeisterung KünstlerInnen und Ausstellungen erklärte oder langjährige Freundinnen wie Nan Goldin ins Gespräch verwickelte.

„Kunst hassen“. Der Titel eines klischeereichen Buches machte vor ein paar Jahren Furore. Frank verkörperte eine Art Gegenprogramm. Die Kunst lieben, ohne ihr unkritisch zu erliegen, war seine Devise. Begreifen sich Kuratoren heute als Autoren, gar als Künstler, stand bei Frank Wagner noch der etymologische Kern diese Vokabel im Vordergrund. Curare heißt im lateinischen „pflegen“.

Bei ihm hatten die Künstler nie das Gefühl, nur als Futter des Größenwahns eines Kurators zu dienen oder die Bilder für einen Diskurs-Zirkus zu liefern. Das bewies er nicht zuletzt an der Präsentation der Stipendiatinnen und Stipendiaten des Arbeitsstipendiums Bildende Kunst des Berliner Senats, die er viele Jahre betreute. Hier konnte man miterleben, wie einer zum Anwalt der Künstler, vieler junger Künstler, wurde.

Die Pflege-Arbeit des Kurators muss zwischen widerstrebenden Kräften vermitteln. Als Kurator muss man Gemeinsamkeiten und Verbindungen herstellen, Gemeinsamkeiten zwischen Künstlern, die sich sonst kaum die Hand geben würden, zwischen ihnen und der Institution zwischen ihnen und der Öffentlichkeit.

Es gehört schon eine gehörige Portion Altruismus und Bescheidenheit dazu, Dinge, Menschen, Räumen und Diskursen unprätentiös und produktiv zusammengebracht zu haben wie Frank Wagner. Und damit eine andere Öffentlichkeit, ein anderes Bewusstsein geschaffen zu haben.

Als Mensch und Freund, als Mittler zwischen den Zeiten, den ästhetischen und weltanschaulichen Polen, zwischen den Künstlern und der Öffentlichkeit wird er uns fehlen. Gemeinsamkeiten herstellen, Verbindungen schaffen – da sind wir bei der gesellschaftlichen Bedeutung des Kuratierens in polarisierten Zeiten – müssen wir jetzt ohne ihn. Danke, Frank Wagner.

Ansprache auf der Berliner Trauerfeier am 7. Juli 2016

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